Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)
Sommer tummelten sich hier entsetzlich viele Touristen, jetzt jedoch waren sie weit und breit die einzigen Menschen. Roberto wartete ab. So wie er seine Freundin kannte, würde sie nicht lange warten, um ihre Erkenntnisse loszuwerden.
«Geld, Signori? Pah, ist mir nicht wichtig. Die Ländereien? Was soll’s. Aber die wundervollen Palazzi, die antiken Möbel, die Ölgemälde berühmter Vorfahren und das zehnteilige Silberbesteck für 256 Gäste? Raffaella hat einen Ehemann, sie hat ein gesittetes Leben, warum kann sie nicht für Nachwuchs sorgen? Oder Antonia? Eh? Körperkontakte? Soll sie’s doch künstlich in vitro machen. Niemand muss heute mehr schwitzen, um – du weißt, was ich meine.»
«Vielleicht ändert die Baronessa ja noch ihre Meinung.»
«Du kennst sie.» Malpomena schauderte. «Es muss sich eine opfern, die nicht viel zu verlieren hat. Talia oder Raffaella.»
«Manchmal ist es besser, wenn Familien sich nicht mehr fortpflanzen und einfach aussterben», flüsterte Franco.
«Eine merkwürdige Meinung ist das für einen, der in den Amazonas-Regenwald fliegt, um da die Klänge von aussterbenden Tierarten aufzuzeichnen.»
«Menschen sind Raubtiere.»
«Was meinst du, was ein Jaguar oder eine Aga-Kröte ist?»
«Harmlos.»
Am besten gar nicht beachten, signalisierte Roberto seiner Freundin. Malpomena zog ihre Stirn in Falten und fixierte Franco wie ein Beutetier.
«Möglicherweise handelt es sich also um Totschlag und nicht um Mord?», versuchte Roberto das Gespräch endlich auf seinen Fall zu lenken.
Malpomena löste ihren Blick nur widerstrebend von Franco.
«Mord.»
«Aber es gibt keinen Beweis.»
«Doch. Aber ich habe ihn noch nicht gefunden.»
«Also gibt es im Moment keinen.»
«Herrgott noch mal!»
Roberto wandte sich an den Komponisten. «Franco, erinnere dich. Der Kampf zwischen den beiden. Wie hat der Täter reagiert, als Ruggero zu Boden ging? Erstaunt? Betroffen? Zufrieden?»
«Es war ein Go–»
Roberto konnte nicht anders, seine Rechte packte Francos Daunenjacke und schüttelte den Musiker hin und her. «Ich schwöre dir, compagno : Sag’s noch einmal, und ich liefere dich höchstpersönlich in der Psychiatrischen in Bologna ab. Hast du mich verstanden?»
Franco starrte ihn mit angsterfüllten Augen an.
«Vielleicht hat er ja recht», sagte Malpomena, und ihre Augen blitzten vor Vergnügen.
«Was?», brüllte Roberto.
«Der Angreifer war ein Monster aus Lehm, und bei Ruggero Grilli haben vor Schreck und Entsetzen sowohl Kreislauf als auch Atmung ausgesetzt. Im Ersten Weltkrieg, in Verdun, sind aus ebendiesem Grund reihenweise Soldaten –»
«Malpomena, bitte! Grilli war ein kräftiger Kerl, ein Mann vom Land, einer, der Schweine massakriert und Hühnern die Köpfe abhackt. Der gibt doch nicht den Löffel ab, weil irgendeinem Typen ein wenig Lehm aus dem Gesicht bröckelt.»
«Nun, wie würde es dir gehen, wenn du, nur als Beispiel, nachts um zwei bei Nebel in das Gesicht von Graf Dracula schautest, der sich daranmacht, seine scharfen Eckzähne in deinen Hals zu schlagen?»
«Das ist doch ausgemachter Blödsinn!»
«Ach ja? Wer von uns beiden ist denn derjenige, der, nur als Beispiel, absurde ballettöse Tänze über Türschwellen hinweg aufführt, um nicht die Spukgestalten zu reizen, die angeblich darunter hausen?»
«Das ist etwas völlig anderes!»
«Ach ja? Ich sage dir eins: Wenn so ein Türschwellengespenst tatsächlich einmal vor dir stünde und dir a) einen auf die Nase, b) einen in die Nieren und c) einen gegen den Kehlkopf geben würde, dann hörtest gerade du mit höchster anzunehmender Wahrscheinlichkeit vor Entsetzen auf zu atmen. Schwupp – tot.»
Malpomena lächelte ihn liebenswürdig an, was Roberto noch zorniger machte. Ohne ein weiteres Wort machte er sich auf den Weg und zog Franco hinter sich her. Der folgte ihm wie ein Hundewelpe: widerstrebend zwar, aber doch heilfroh, dass jemand die Führung übernahm.
Francos Verhalten insgesamt war in der Tat merkwürdig. Vielleicht hatte Malpomena recht, und Franco versuchte davon abzulenken, dass er selber Ruggero auf dem Gewissen hatte. Nur, wie soll er es getan haben? Franco war kein Typ, der einen Faustschlag wirkungsvoll platzieren konnte, und die Verletzungen des Opfers standen bei allen Unklarheiten außer Frage. Roberto warf einen Blick auf den Musiker, wie er tief in sich versunken hinter ihm her trottete.
Unsinn, Franco hatte die Tat beobachtet und wurde mit dem Erlebten nicht fertig.
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