Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)
schmerzenden Knien höchstens zwanzig Minuten brauchen. Doch in dieser schönsten aller italienischen Renaissancestädte war eine solche Strecke kaum unter einer halben Stunde zu machen. Und selbst für die sechshundert Meter zwischen Totos Bar an der Piazza della Repubblica und der Bar Complotto in der Via della Mura am südwestlichen Ende der Altstadt brauchte Roberto fast dreißig Minuten. Diese Strecke gehörte zu den unangenehmsten, die das Städtchen zu bieten hatte. Zuerst ging es durch die enge Via Vittorio Veneto am duomo vorbei stramm bergauf zum Palazzo Ducale, dann zwar weniger steil, aber immer noch aufwärts weiter an dessen beeindruckend langer Fassade entlang bis zum Palazzo Bonaventura, und von dort, auf einem der beiden Scheitelpunkte der Hügel, auf denen Urbino erbaut worden war, wurde die Straße, die Via Aurelio Saffi, extrem abschüssig und verengte sich so sehr, dass neben einem vorbeifahrenden Auto kaum noch Platz war. Unangenehmerweise waren gerade die heikelsten Stellen nicht mit Asphalt, sondern mit bei Feuchtigkeit besonders schlüpfrigen mattoni bedeckt. Ausgerechnet heute hatte Roberto die Stiefel mit den harten Ledersohlen angezogen, die auf dem vermoosten Untergrund praktisch keinen Halt boten. Nur in der Mitte der Gasse konnte er einigermaßen sicher gehen, musste allerdings immer wieder dem Verkehr weichen, alle naselang stürzte sich ein Auto oder ein Motorino die steile Gasse hinunter, meist viel zu schnell, wie Roberto fand. Schon nach den ersten zehn Metern war er das ständige Pendeln zwischen Mitte und dem Rand leid und hielt sich fortan ganz links, wo er sich bei Bedarf an einer der Hauswände abstützen konnte. Franco folgte ihm auf Tuchfühlung. Seine regenwaldtauglichen, schlangenbisssicheren Boots mit dicker Gummisohle verschafften ihm einen sicheren Tritt. Seinen verständnislosen Blicken nach schien er nicht zu begreifen, warum Roberto sich wie auf Glatteis vorwärtshangelte.
Am Wehrplateau am Ende der Via Saffi angekommen, waren es nur noch fünfzig Meter über grobes Kopfsteinpflaster bis zur Bar Complotto. Remo Carlucci, dem Besitzer, war dieser Stempel gleichgültig. Ohne Attilio Brozzi, Egidio Cecchetti und die anderen Verschwörungsapologeten hatte er fast nur Durchgangskunden, die selten mehr als einen schnellen caffè bestellten. Was vor allem mit der Lage der Bar zu tun hatte: Hier am südwestlichen Ende von Urbino war der einzige öffentliche Parkplatz innerhalb der Stadtmauern, und hier gab es die einzige Zufahrt in die Stadt, die breit genug war für kleinere Lastwagen, sodass praktisch Urbinos gesamter Güterverkehr seine Bar passieren musste. Fürs Geschäft war das hinreichend gut, und Remo hatte sein Auskommen, jedoch war er über die Jahre ein wenig nervös geworden angesichts der ständig neuen Gesichter, die ihm ihre Bestellungen zubellten und die keine Zeit für eine anständige chiacchierata hatten. So war seine Welt schmal und farblos geworden – bis Brozzi und die anderen aufgetaucht waren und es seitdem jeden Tag zu ausladenden Gesprächen, Proklamationen und auch heftigen Streits kam. Glücklicherweise schienen Verschwörungstheorien hungrig und durstig zu machen, jedenfalls hatte sich seitdem sein Umsatz nahezu verdoppelt.
Roberto war in Gedanken versunken, als er die Bar betrat, mit Franco im Schlepptau, und er wurde erst aufmerksam, als das unglaubliche Stimmengewirr mit einem Mal abrupt endete. Attilio Brozzi baute sich vor ihm auf wie ein Ausbilder bei der GIS, der Antiterror-Spezialeinheit der Carabinieri.
«Was willst du denn hier, Poliziotto?»
«Dich verhaften», entgegnete Roberto und ließ sich auf einen der unbequemen Aluminiumstühle fallen.
Attilio zuckte zusammen und bemühte sich, einen lässigen Eindruck zu machen. «Weswegen?»
Roberto winkte Remo zu. «Einen ristretto, und vergiss das Glas Wasser und den amarettino nicht.»
Attilios Nervosität wurde größer. «Das war keine Fahrerflucht, Roberto, ehrlich. Ich habe erst viel später erfahren, dass der Scheinwerfer kaputt war.»
Roberto schwieg und bemühte sich, sein Erstaunen zu verbergen.
«Es ist beim Wenden passiert. Du weißt, der Lancia Thema von Ermete Pompili ist schwarz wie die Nacht, und es war dunkel, und ich setzte zurück. Track! Schon war es passiert.»
Roberto schwieg weiter. Tatsächlich erinnerte er sich jetzt, wie Pompili, neben Fausto Manchetti der einzige Besitzer einer Apotheke in der Altstadt, vor ein paar Tagen frühmorgens bei ihm auf der
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