Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)
Wache einen Riesenlärm wegen einer alles andere als dramatischen Delle in seinem Kotflügel veranstaltet hatte. Hatte nur noch gefehlt, dass er Personenschutz und die Wiedereinführung der Todesstrafe gefordert hätte. Roberto hatte sich Pompilis Gejammer eine Weile angehört, bis er eine Schadensmeldung aufnahm und diese allerdings mit einem Bußgeld abrundete, weil Pompili offensichtlich ohne gültige Lizenz in die Altstadt eingefahren war. Seitdem wurde er in der Apotheke nicht mehr bedient, ein Zustand, den Roberto in aller Ruhe abwarten konnte, denn eines Tages würde Pompili sich wieder irgendeines Vergehens schuldig machen, und dann konnte man die Karten neu mischen.
«Irgendwie habe ich es bisher versäumt, mich bei ihm zu melden», beendete Attilio seine Beichte. «Aber ich hole das ganz sicher gleich heute nach.»
Roberto schlürfte seinen konzentrierten Espresso, den er mit zwei Löffeln Zucker angereichert hatte. «Volksverhetzung.»
Attilios Gesicht verformte sich zu einem Fragezeichen.
«Du läufst durch Urbino und schwafelst von einem jüdischen Auftragskiller.»
Attilios Gesichtszüge entspannten sich wieder. «Moment, das fällt unter Meinungsfreiheit. Und außerdem war er es» – er deutete auf Franco, der sich die paste auf Remos Theke anschaute –, «der die Sache mit dem Golem aufgebracht hat.»
«Franco ist Künstler. Der hat zu viel Phantasie und zu wenig Weitblick, was er mit seinen Worten anrichtet. Der darf so was sagen.»
«Und ich darf sagen, worum es hier wirklich geht.»
«Worum geht es denn wirklich, Brozzi?»
Attilio machte eine Kunstpause, die so lang war, dass sogar seine Leute ungeduldig wurden. «Eine jüdische Verschwörung.»
«Ach ja? Und was ist das Ziel dieser Verschwörung?»
«Es handelt sich um einen Test. Ultraorthodoxe innerhalb der jüdischen Gemeinde versuchen herauszubekommen, wie sich die Menschen verhalten, wenn sie offen zuschlagen.»
« Oddio , Brozzi, mir war klar, dass es schlimm um dich bestellt ist. Aber so schlimm?» Roberto lachte und sah sich um. Er war der Einzige, der lachte.
Attilio lächelte mitleidig. «Die Ultraorthodoxen bilden einen harten Kern, der sowohl die menschewikische als auch bolschewikische Revolution in Russland gefördert hat und engstens mit den kommunistischen Bewegungen in allen anderen Ländern dieser Erde verbunden ist.»
«Aha.» Roberto wandte sich an Remo, den barista . «Sag mal, hörst du dir jeden Tag so einen Schwachsinn an?»
Remo vermied jede auch nur ansatzweise interpretierbare Reaktion und begann, mit demonstrativer Hingabe seine Spülmaschine zu beladen.
«Alle großen Konzerne», meldete sich Egidio mit hündischem Seitenblick auf seinen Meister, «alle Medien, der Internationale Währungsfonds, die Weltbank und alle Geheimbünde dieser Erde werden von Juden kontrolliert. Manche sagen, das wäre Zufall. Wir aber sagen: Da steckt ein weltumspannender, perfider Plan dahinter.»
Roberto verschlug es die Sprache, zum einen weil er Egidio Cecchetti gar nicht zugetraut hätte, so viel Text auswendig zu lernen. Vor allem jedoch wegen des allgemeinen zustimmenden Gemurmels der Verschwörungsapologeten.
«Hast du mal überlegt, Poliziotto», fragte Attilio, «warum Fürst Federico da Montefeltro diese Scharte in seiner Nasenwurzel hatte?»
Jetzt war Roberto wirklich gespannt. Dieses Thema beschäftigte die Urbinati schon seit dem 15. Jahrhundert. Jedes Gemälde, auf dem der glorreiche Erbauer der Stadt zu sehen war, zeigte diese gewaltige Kerbe im Nasenbein genau in Höhe der Augen, verursacht durch einen Lanzenstoß während eines Turniers.
«Er hatte Angst vor einem Anschlag eines jüdischen Attentäters.»
«Klar, das leuchtet ein», sagte Roberto mit unüberhörbarem Sarkasmus, während Brozzis Anhänger an dessen Lippen hingen, begeistert von der Schärfe des Verstandes ihres Meisters.
«Federico hat den Juden gepfefferte Steuern abverlangt und ihnen verboten, Immobilien zu erwerben. Und warum? Weil sie versucht hatten, mit ihrer Macht, die sie als Geldverleiher erlangt hatten, den Staat zu kontrollieren. Schluss damit, hat er gesagt, dieser aufrechte Mann, und erließ ein Dekret: Von einem Tag auf den anderen mussten die Juden auf ihr verliehenes Geld verzichten und durften nur noch rund um ihre Synagoge wohnen. Im jüdischen Ghetto, wie wir heute sagen. Und plötzlich?» Eine weitere seiner gefürchteten Kunstpausen. «Plötzlich war die Wut groß. Es drangen wilde Drohungen, aufgefangen von
Weitere Kostenlose Bücher