Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)
zehn Minuten eines geplanten Abends, war beschämend gewesen. Wieso hatte sie ihren Mund nicht halten können? Zumal sie den Verlauf des Treffens perfekt durchgeplant hatte. In ihrer Tasche hatte sie einen Radio-CD-Player mit diversen, sehr unterschiedlichen CDs mitgebracht, um jede nur denkbare Stimmung zu erzeugen oder zu unterstützen, hinzu kam eine Sammlung von Flakons mit zahlreichen Düften, sogar verschiedene Badezusätze und eine weiche Massagebürste hatte sie dabei, falls nur in der Badewanne die rechte Stimmung aufkommen würde. Und dann? Dann regte sie sich über dieses Palindrom und Robertos Aberglaube auf! Wie dämlich, wie absolut dämlich! Als wäre er erst seit gestern der Furcht vor Geistern und Dämonen verfallen. Und das alles in einer Situation, in der es um nicht weniger als die Rettung der Erbschaft der altehrwürdigen Familie der Del Vecchio ging. Sie hatte es vermasselt, eindeutig, sie hatte sich benommen wie ein pubertäres Mädchen und nicht wie eine erwachsene Frau. Sollte ihre Schwester Talia jemals davon erfahren, würde deren Spott sie bis an ihr Lebensende verfolgen. Talia wäre ohne jedwede Utensilien zu so einer Verabredung erschienen, hätte mit den Augen geklimpert und den Hüften gewackelt – und aus die Maus!
Von Scham gebeutelt, sackte Malpomena noch mehr in sich zusammen, so sehr von bitteren Selbstvorwürfen bedrängt, dass sie die schnellen Schritte hinter sich erst hörte, als sie schon sehr nah waren. Für einen Moment zögerte sie und überlegte, ob sie sich verstecken sollte, doch plötzlich verspürte sie eine tiefe, existenzielle Angst und rannte los. Auf ihre Fitness konnte sie sich verlassen, jeden Tag joggen hatte ihren Körper gestählt, und ihre Kondition reichte, um Urbino mit seinen steilen Hügeln gleich mehrmals im Eilschritt zu durchmessen. Schon nach wenigen Metern spürte sie ihre Kraft, die ihr Zuversicht gab, demjenigen, der da hinter ihr herlief, zu entkommen. Bis sie die Schritte eines weiteren Menschen hörte, grobe, große Schritte, begleitet von merkwürdigen Grunzlauten, wie sie ein Bison machen würde. Sie versuchte, ihr Tempo zu erhöhen, doch die Stiefel mit den hohen Absätzen, die sie für diesen Abend extra ausgewählt hatte, setzten dem enge Grenzen. Die beiden Verfolger kamen näher. Sie musste so schnell wie möglich den heller erleuchteten und wahrscheinlich selbst zu dieser späten Stunde von dem einen oder anderen Passanten belebten Corso Garibaldi erreichen. Gleich hinter der Mauer, die den fürstlichen Kräutergarten schützte, bog sie nach rechts in den Giro dei Torricini ein und hastete die arg verwitterten Stufen längs der gemauerten Brüstung hinunter. Sie lauschte nach hinten, der Abstand zu den Verfolgern schien sich nicht verändert zu haben.
Und dann passierte es: Sie stolperte, versuchte sich zu fangen, prallte gegen die Brüstung und fiel auf der anderen Seite ins Buschwerk. Sie hielt den Atem an. Hatte der Verfolger ihren Sturz mitbekommen? Kurz darauf tauchte er auf, klein, schmächtig, nach Atem ringend und, wie sie trotz der Dunkelheit erkannte, von Panik getrieben. Und plötzlich war der zweite Mann da, ein kräftiger Kerl mit gewaltigen Armen, säulenartigen Beinen und einem Kopf, der eher zu einem Büffel gepasst hätte. Er beschleunigte, trat dem ersten in die Fersen, beide strauchelten und gingen zu Boden. Der Kräftige war schneller wieder auf den Beinen. Er packte den Kleinen, riss ihn hoch, wirbelte ihn herum wie einen Palmwedel, wie Zuckerwatte, als würde er nichts wiegen. «Du hast doch, was du wolltest!», schrie der Kleine, doch der Kräftige lachte nur und schleuderte ihn wieder zu Boden. Während der Kleine nach Luft rang und versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, zog der Kräftige ein Messer, Malpomena sah die lange Klinge, die das fahle Licht der Scheinwerfer reflektierte, die vom Teatro Sanzio die beiden Türme des Palazzo Ducale beleuchteten. «Ich fürchte, du redest zu viel», sagte der Kräftige mit einer dunklen, merkwürdig gedeckten Stimme und hob die Hand. Für einen Moment sah Malpomena sein Gesicht – oder das, was sein Gesicht hätte sein müssen, eher eine Kraterlandschaft, in der sich weder die Nase noch die Augen noch der Mund an der Stelle befanden, wo sie normalerweise sind. Und dann stach der Mann, nein, das Wesen, zu.
Malpomena biss sich auf die Hand, um nicht aufzuschreien. Trotzdem konnte sie ihren Blick nicht von dem Sterbenden lassen. Sie zählte nicht mit, wie oft der
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