Der Portwein-Erbe
dumm.« Wieder wandte er sich an den Tenente, dann an ihn. »Wie lautet
die Autonummer?«
|276| Nicolas stieß hörbar die Luft aus. »Woher soll ich das wissen? Ich habe den Wagen erst seit heute.«
»Sie werden sich doch die Nummer gemerkt haben?! Nein?« Der Arzt verdrehte die Augen. »Meine Güte, wie weltfremd sind Sie
eigentlich? In Berlin werden jede Nacht sicher 100 Autos geklaut. Die Diebe sind längst über alle Berge, oder sie lassen den
Wagen einige Wochen in einer Garage stehen. Dann müssen wir warten, bis morgen die Geschäftszeit beginnt, und bei der Firma
nachfragen. In Porto, sagten Sie? Und was ist das für ein Fabrikat? Oder wissen Sie das auch nicht?«
Nicolas zuckte mit den Achseln. »Hilus, so ein Fantasiename, fabrikneu, hellbraun, mit Anhängerkupplung. Man müsste das Ding
doch finden, vonseiten des Verkäufers her, über Satellitenortung, GPS, der hat einen derartigen Sender.«
»Das waren Profis«, meinte Dr. Veloso nach Rücksprache mit dem Tenente, »die wissen, wo der Sender steckt, und legen die Elektronik
lahm. Halten Sie verdammt noch mal den Kopf endlich still . . .«
Nachts brachte ein Taxi Nicolas zurück auf die Quinta. Er sah aus wie ein Boxer nach einem verlorenen Kampf. Mutlos stemmte
er sich aus dem Wagen. Veloso hatte ihm Schmerztabletten mitgegeben. Falls die Schmerzen anhalten sollten, musste er zur Ultraschalluntersuchung
ins Krankenhaus. Besser, er würde das in Berlin über sich ergehen lassen, die Ärzte seien gewissenhafter, und er könne sich
unter seinen Landsleuten besser verständlich machen. Bis dahin hatte Nicolas dem Arzt zugestimmt. Doch der letzte Ratschlag
hatte ihn hellhörig gemacht. Von da an hatte er genau hingehört: »Damit ist ja dann wohl Ihr intellektueller Ausflug in die
Weinwelt beendet.«
Genau dieser Satz war einer zu viel. Er würde von jetzt an so umsichtig sein wie noch nie in seinem Leben. Jemand |277| in seiner Umgebung war total durchgeknallt, wollte ihn vielleicht sogar umbringen. Aber den Schwanz einziehen wie Perúss kam
nicht infrage. Er war kein Feigling, hinzu kam die Verabredung mit Otelo, von der er sich viel versprach, außerdem wollte
Happe kommen, und Sylvia hatte sich auch angekündigt.
Beide würden ihm raten, sofort zu verschwinden. Sylvia würde es begrüßen, aber sich über seine Rückkehr nicht wirklich freuen,
höchstens darüber, ihrem Ziel näher gekommen zu sein. Happe dachte auch egoistisch – wer verzichtet schon gern auf einen Freund?
–, aber er würde es bedauern, dass Nicolas sich vor einem Stärkeren hatte zurückziehen müssen. War das der Fall?
Nicolas stand noch immer vor dem Haus und schaute ins Tal. Dort, wo der Fluss herkam, zeigte sich über den Bergen ein feiner
Schimmer,
amanhecer
, die Morgendämmerung – oder war es mehr ein Grauen? Nicolas kannte den Gegner nicht, woher sollte er dann wissen, ob er stärker
war? Bisher hatte er keinen Erfolg gehabt, aber das besagte wenig. Es raschelte, und Nicolas wirbelte herum. Zu seiner Erleichterung
sah er Perúss, der neben ihm stehen blieb und an seinem Bein schnüffelte. Wer profitierte am meisten, wenn er die Quinta aufgab?
Es bestand eine Möglichkeit, das herauszufinden. Er musste die Erbregelung vor allen Mitarbeitern gleichzeitig offenlegen.
Er musste wissen, welche Regelung Friedrich für die Belegschaft vorgesehen hatte, wer wie viel bekommen würde. Für das Haus
gab es Kaufinteressenten, und von den Arbeitern der Fremdfirma müsste er herausbekommen, wer ihnen die Anweisungen gab.
Er ging in den Salon und legte eine Schallplatte auf, die seine Gefühle hervorragend traf: MC5, die totale Chaosgruppe, frühester
Punk, Heavy Metal, nicht als Popversion mit geschminkten Gesichtern, sondern mehr Schrottplatz. Led Zeppelin klang wie eine
Pfadfindercombo im Vergleich |278| dazu. Es waren alles Wahnsinnige, die Instrumente und Gehörgänge zerstörten, in keiner Montagehalle konnte ein derartiger
Krach herrschen, das gab es nur auf der Bühne, und genauso war ihm zumute, er hätte um sich schlagen können, hämmern, die
Gitarrensaiten rauf und runter, Gonçalves ohrfeigen, nichts half. Nicolas knirschte vor ohnmächtiger Wut mit den Zähnen.
Wenn sie mit ihm kooperieren würden, würde er ihnen zuhören. Kooperieren würde bedeuten, dass sie ihn näher an den Wein bringen
würden, ihr Wissen über die Geschäftsabläufe mit ihm teilen würden. Und er müsste den Laden am Laufen halten. War
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