Der Portwein-Erbe
vierter«, antwortete Nicolas gequält, »den Leihwagen habe ich zurückgegeben, Friedrichs Geländewagen ist Schrott, den
neuen haben sie geklaut – ja, der vierte.«
»Wie lange wird der halten?«
»Defätist! Was hältst du davon, wenn du dich ins Gästezimmer zurückziehst?«
»Erst nach dem Essen, ich darf mir unmöglich das Abendessen entgehen lassen, deine Köchin ist Spitze. Und du musst mir von
deiner neuen Braut erzählen. Wenn Sylvia gekommen wäre, hättest du ein Problem gehabt. Hättest du nicht so viel Scheiß am
Hals, würde ich sagen, du bist ein Feigling.«
Happe stimmte ihm zu, dass man nicht alles kommentieren musste. Nicolas bat Dona Firmina, auf der Terrasse zu decken. Zum
einen gefiel es ihm hier, wichtiger war ihm aber, dass er von hier aus die Zufahrten im Auge behalten konnte. Gonçalves’ Verschwinden
machte ihm Sorgen. Wenn der Lump eine neue Schweinerei ausheckte?
Trotzdem konnte er das Essen genießen, und obwohl er Dona Firmina noch nie so bedrückt erlebt hatte, war ihr das Essen hervorragend
gelungen. Statt der gewohnten Suppe brachte sie einen Salat aus frischen Muscheln mit einer feinen Vinaigrette und stellte
einen gekühlten weißen Redoma Reserva von Niepoort auf den Tisch. Es war für Nicolas nach dem Van-Zeller-Wein nichts Neues
mehr, der Barriqueausbau jedoch war nichts für Nicolas, aber Happe war begeistert. Die beiden Freunde versuchten sich gemeinsam
an der Beschreibung nach Nicolas’ Schema. Zum geschmorten |321| Ochsenschwanz danach gab es einen Roten der Casa Ferreirinha in einer Dekantierkaraffe, dessen Trauben auf den Gütern do Seixo
und Vale do Meão gewachsen waren. Happe nahm die Flasche in die Hand.
»1994? So alt ist das Zeug?«
»Probier, bevor du meckerst«, sagte Nicolas, nachdem er an dem Wein geschnuppert hatte. »Das sind die Schätze aus der Hinterlassenschaft
meines Onkels. Sag mir lieber, was du riechst, und sag nicht, er rieche nach Wein . . .«
Happe musste passen, dafür stimmte er Nicolas bei seiner Beschreibung zu. Rote Früchte, Brombeere, Lorbeer, provenzalische
Kräuter, etwas Pfeffer ...
Sie plauderten und tranken. Nicolas entspannte sich allmählich, er genoss den Abend. In Gesellschaft des Freundes fühlte er
sich wohl und sicher. Trotzdem beobachtete er aufmerksamer als sonst die Umgebung. Der heiße und aufregende Tag verging, die
Sterne leuchteten auf, ein Kerzenleuchter kam auf den Tisch, und sie hielten sich an Dona Firminas Schokoladenkuchen. Dazu
tranken sie einen Tawny von der Quinta de la Rosa.
Happe wunderte sich, wie Nicolas dem Portwein zusprach. »Bis vor zwei Monaten kanntest du nicht mal den Namen, und jetzt redest
du hier von Ruby und Tawny, als verstündest du was davon.«
Aber der Faszination des zehn Jahre Portweins, der während der Lagerung die rötlichbraune Farbe eines Assamtees angenommen
hatte, konnte auch Happe sich nicht entziehen. Nicolas genoss zuerst mit den Augen, dann mit der Nase. Der Tawny duftete frisch,
überhaupt nicht aufdringlich alkoholisch, er erinnerte an würzige Rosinen, vielleicht Nüsse, ein winziger Hauch frischer Vanille
kam dazu und das intensive Aroma reifer Trockenfrüchte. Trotz seines Alters war er weich und saftig. Seit er wusste, wie wichtig
die Säure für die Lebendigkeit eines Portweins war, achtete Nicolas besonders darauf, und er erklärte Happe den Sachverhalt.
|322| Bei ihrem Gespräch über Sylvia, Happes Exfreundin und Lovely Rita vergaß Nicolas die Bedrohung. Als sich Happe kurz vor Mitternacht
todmüde ins Gästezimmer schleppte, war sie jedoch wieder gegenwärtig. Nicolas hörte Happe im Bad rumoren, dann legte sich
Stille über die Berge. Im Tal fuhr ein Auto, was Nicolas die Stille umso eindringlicher empfinden ließ. Er sah die Scheinwerfer,
Lichter einer anderen Quinta, auf dem Berg gegenüber, er hörte Grillen, den Flügelschlag eines Nachtvogels. Als ein Hund bellte,
merkte er, wie ihm Perúss fehlte. Ob er hier oben mit Rita leben könnte? Es gefiel ihr, sonst hätte sie ihre Reisegruppen
nicht angeschleppt, aber mit derartig weitreichenden Fragen musste man vorsichtig sein. Erst wenn er das Gefühl hätte, dass
es auch ihr Wunsch war, würde er sie fragen. Vielleicht sollte sie sich ganz auf Weinreisen spezialisieren, dann hätte sie
ihre Aufgabe. Das Dasein als Hausfrau würde sie nicht befriedigen. Als er sich an die Gespräche mit Otelo erinnerte, war es
mit seiner Ruhe hin.
Die Zeiten, in
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