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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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einem gewissen Zeitpunkt ein Geist der OVenheit. Dass es anders geworden ist, habe ich mir selbst zuzuschreiben.
    Wenn du diese Zeilen liest, hat die Zeit mich eingeholt, und ich bin nicht mehr am Leben. Du fragst dich bestimmt, weshalb
     ich gerade dir die Quinta vermacht habe? |325| Weil ich dir einen Platz zum Leben zeigen will, eine Arbeit, die dir Raum zum Alleinsein und gleichzeitig Nähe zu Menschen
     verschafft. Der wichtigste Grund aber, Nicolas: Ich will etwas von dir, worum ich sonst keinen anderen Menschen bitten kann:
     Finde meinen Mörder!
    Nicolas ließ das Buch mit dem Brief sinken, und ein eisiger Schauer kroch ihm über den Rücken, über die Arme und Beine, bis
     er vor Kälte und Erregung schlotterte.
    Was hatte Friedrich gewusst?

|326| 16.
In der Falle
    »Lassen Sie uns in den Garten gehen, noch ist die Temperatur erträglich, außerdem sitzt man dort netter.« Nicolas war den
     beiden Kaufinteressenten entgegengegangen, und auch Happe hatte von jedem der beiden eine Visitenkarte in die Hand gedrückt
     bekommen. All-Union-Versicherungsgruppe prangte über den Namen ihrer Gesprächspartner. Während die Gruppe sich formierte und
     im Gänsemarsch in den Garten des »Vintage House« ging, vermied Nicolas jeden Blickkontakt mit Happe. Er konnte sich das Lachen
     kaum verbeißen. Happe war von Nicolas als Kompagnon ihres Architekturbüros vorgestellt worden, das sich angeblich auf »touristische
     Projekte im mediterranen Weinmilieu« spezialisiert hatte. Es war genau das, was die »Jungs«, wie Nicolas sie nannte, obwohl
     sie in seinem Alter waren, brauchten. Dann sollten sie es auch haben.
    Am frühen Morgen hatten sich Nicolas und Happe im Internet alles angesehen, was sie über die All-Union-Versicherungsgruppe
     hatten finden können. Sie waren über den Arbeitgeber der »Jungs« besser informiert als diese selbst, und damit trumpfte Happe
     auf, während Nicolas mit dem Wenigen glänzte, was er von Rita über Weintourismus gehört hatte. Unter den Blinden war der Einäugige
     König. Sie agierten so aufeinander abgestimmt wie früher beim Basketball, wo sie sich mit für andere unverständlichen |327| Gesten verständigt hatten. Hier und jetzt bedeutete die flache Hand vor dem Kinn sich zurückzunehmen, die Hand am Ohr weiterzufragen
     und die parallel gestellten Hände diesem Argument weiter zu folgen, um die Schwachstellen des Gesprächspartners auszuloten.
     Sie hatten während des Wartens auf die »Jungs« lediglich fünf Minuten für die Wiederbelebungsversuche ihrer Geheimsprache
     benötigt.
    Ihre Gesprächspartner gehörten zu dem Typ von Menschen, den Happe als geklont bezeichnete. Nicolas fand das Urteil zu hart,
     aber im Grunde genommen lag sein Freund nicht so falsch. Die »Jungs« wiederholten, was das Managermagazin und der Wirtschaftsteil
     der FAZ ihnen vorschrieb, ihre Allgemeinbildung bezogen sie mangels Erfahrung aus dem FOCUS, der Spiegel war ihnen zu links,
     und natürlich flogen sie mit ihren Freundinnen zu jeder wichtigen Kunstausstellung in die Hauptstadt. DINKS hatte diese Gruppe
     vor Jahren mal geheißen,
double income – no kids
, doppeltes Einkommen, keine Kinder.
    »Sind Sie Mitarbeiter des Hollmann-Konzerns oder ein Konsultant?«, fragte der Nicolas am nächsten Sitzende.
    »Hans-Heinrich Hollmann ist mein Vater.« Nicolas hatte es ausdruckslos vorgebracht, so war es für Menschen, die andachtsvoll
     zu den Konzernspitzen hinaufsahen wie Bergsteiger zur Eigernordwand im Winter am wirkungsvollsten. »Er ist der Bauingenieur,
     ich bin Architekt und spezialisiere mich auf die Nutzung von Kellereien.« Das war nicht gelogen. »Auch am Rio Douro macht
     die Konzentration bei den Kellereien nicht halt. Bedenken Sie, dass der größte Teil der Portweinproduktion in wenigen Händen
     liegt, die britische Symington-Gruppe ist führend, dann folgt Ferreira, aber die gehören wieder zu SOGRAPE. Es werden hier
     einige Quintas frei, die Produktionsstätten legt man aus Kostengründen zusammen. Sie finden wunderschöne Immobilien |328| in den Weinbergen. Wie ich hörte, haben Sie bereits ein Objekt gefunden?«
    Happe bedeutete Nicolas mit einem Blick, dass er jetzt den Ruhigeren der beiden ansehen sollte, damit auch dieser zum Zug
     käme und sich seinem Kollegen gegenüber produzieren konnte.
    Es funktionierte, der andere stieg drauf ein. »Dann wissen Sie, worauf wir hinauswollen. Die Quinta do Amanhecer ist uns angeboten
     worden.«
    Nicolas verzog schmerzgequält

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