Der Portwein-Erbe
auf
dieser Quinta wirklich los ist. Hast du dich mal gefragt, weshalb dieser Onkel nach all den Jahren des Schweigens dir und
keinem anderen das Weingut vermachen will? Womöglich ist alles hoch verschuldet. Er konnte deinen Vater nicht leiden . . .«
|39| ». . . sie haben sich nicht verstanden, das ist was anderes«, warf Nicolas ein.
»Spielt das eine Rolle? Vielleicht will er sich posthum an ihm rächen, schlägt den Neffen und meint den Bruder, vielmehr lässt
ihn schlagen. Kann sein, dass zwischen den ehemaligen Mitarbeitern bereits Krieg herrscht, und du gerätst zwischen die Fronten.«
»Alles das wird man sehen. Trink lieber, mit dir kann man nicht reden, du denkst zu verquer, zu negativ . . .«
»Wenn du nicht mit mir diskutieren willst, kann ich ja gehen.« Beleidigt stand Sylvia auf, betrachtete die vollen Weingläser,
griff nach einem, kostete und verzog das Gesicht. »Widerlich.«
»Das habe ich mir gedacht«, murmelte Nicolas und dachte daran, seinen Freund Happe zu fragen, ob er schon gegessen hätte.
Sylvia griff nach ihrer Handtasche, in der das Mobiltelefon erstickte Laute von sich gab. Sie meldete sich, blieb kurz angebunden,
mehr als ja und nein bekam Nicolas nicht mit. Als sie das Telefon wegsteckte, meinte sie, dass sie einer Kollegin helfen müsse,
die mit den Korrekturen einer Klassenarbeit nicht zurechtkäme. Es war ihre Standardausrede, wenn sie sich zurückziehen wollte.
»Du bist naiv, Nicolas«, meinte sie, nachdem sie ihn an der Wohnungstür flüchtig geküsst hatte. »Das Fell werden sie dir über
die Ohren ziehen. Die kennen sich alle untereinander. Du solltest nicht fahren, es ist rausgeworfenes Geld. Schade um die
Zeit. Wie willst du das mit deinem Job regeln? Bei dem befristeten Vertrag steht dir kein Urlaub zu.«
»Das ist richtig. Wenn sie mich nicht beurlauben, werde ich kündigen, oder ich melde mich krank.«
»Du bist total übergeschnappt. Aber im Grunde muss jeder selbst wissen, was er tut.«
Er hasste diesen Satz. Er hob alles zuvor Gesagte wieder |40| auf. Wozu dann reden? »Jeder muss selbst wissen . . .« Es war der Ausdruck ihres zunehmenden Desinteresses. Seine Ideen passten
nicht zu ihren Plänen. Sie hatte ihm die Laune gründlich verdorben.
Er sah ihr nach, wie sie die Treppe hinunterging, ein Lichtstrahl fiel aus dem Oberlicht auf Kopf und Schultern, das Letzte,
das er von ihr sah, war der wippende Pferdeschwanz. Sie drehte sich nicht um. Wenn es nicht zu dieser Missstimmung gekommen
wäre, hätte er gern gehabt, dass sie geblieben wäre. Aber jetzt war es ihm lieb, dass sie gegangen war. Wenn sie gut drauf
war, sah sie blendend aus, konnte charmant und reizend sein, manchmal sogar witzig. Doch dann wieder empfand er ihr Verhalten
als aufgesetzte, berechnende Freundlichkeit, einer ihrer pädagogischen Tricks zum Erreichen ihres Ziels. Das war nicht böse
gemeint, sie war einfach so. Vielleicht klärte sich einiges, wenn er sich eine Weile aus dem Staub machte. Er ärgerte sich,
dass ihr der Wein nicht gefallen hatte, dabei schmeckte er gut, kräftig und sehr würzig, wenn er sich ein Urteil erlauben
konnte, keine dünne Lorke – ein Begriff, den Happe gern für billige Weine gebrauchte.
Nicolas hörte Sylvia unten im Treppenhaus, er wusste, welche Etage sie erreicht hatte, denn jede Stufe knarrte anders, er
kannte sie alle und horchte auf ihren Schritt. Er erinnerte sich daran, wie sie das erste Mal heraufgekommen war, ganz außer
Atem. Ob er sich nicht eine Wohnung nehmen könnte, für die man kein Himalaya-Training absolviert haben müsste, hatte sie ihn
damals gefragt. Man sollte aufpassen, solange man noch nichts zu verlieren hat, dachte er.
Sie hatten sich auf einer Party getroffen, zu der ein Freund von Happe sie mitgeschleppt hatte. Nicolas hatte sich gelangweilt,
die Musik reichte nur von Disco bis Techno, in der Küche war es noch am interessantesten gewesen, jeder kam mal vorbei. Er
beobachtete, was die Gäste sich |41| auf die Teller luden, wie sie aßen, was sie redeten, und Sylvia hatte da gestanden, in einem hellgrauen Kostüm, und lächelnd
in die Runde geblickt. Ein schöner Anblick, nicht gepierct, nicht tätowiert, sie hatte nicht dazugehört. Er war erst kurz
zuvor aus Holland zurück nach Berlin gekommen, und was er aus Rotterdam zu erzählen hatte, war für sie äußerst interessant
gewesen. Den Eindruck hatte sie in der ersten Zeit zumindest erweckt. Sie war eine erotische Frau, das
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