Der Portwein-Erbe
das war sein
Kommentar zu seinen Eltern und seinem Bruder gewesen. Friedrich war ihm als extrem egoistisch geschildert worden, doch als
Nicolas auf seiner Quinta zu Besuch gewesen war, hatte sich Friedrich täglich Zeit für ihn genommen. Er hatte damals allein
gelebt, soweit Nicolas das mitbekommen hatte, worüber er sich gewundert hatte. Zum Schluss habe es aber eine Frau in seinem
Leben gegeben, wie ihm der Anwalt berichtet hatte, die jedoch niemand kannte. Er war gespannt auf sie und auch ein wenig ängstlich,
wie sie ihm begegnen würde. Würde sie ihm Schwierigkeiten machen? Die Situation war undurchsichtig, denn immer, wenn es um
Familie ging, war da irgendein Haken, eine undurchschaubare Absicht, und auch Friedrich, wie anders er auch gewesen sein mochte,
war ein Hollmann, allerdings hatte er |47| sich erst mit 27 Jahren abgesetzt. Er, Nicolas, hatte es bereits mit achtzehn geschafft.
Die Maschine landete auf Mallorca mit Verspätung. Sie setzte hart auf, und noch bevor sie zum Stillstand gekommen war, drängten
die Passagiere zum Ausgang, um so schnell wie möglich an den Strand zu kommen. Der Weiterflug nach Porto war bequemer, die
Maschine nicht ausgebucht. Nicolas saß am Fenster und hatte, da der Sitz neben ihm frei blieb, viel Beinfreiheit. Die Stimmung
an Bord war anders, es dauerte eine Weile, bis er begriff, was den Unterschied ausmachte. Es waren die Portugiesen. Sie unterhielten
sich laut, es wurde gescherzt, die Gesichter waren freundlich. Man flog bereits wieder über Festland, das Land unten war braun,
grau und gelb, selten ein grünes Rechteck auf einem der Berge. Gleich würden sie den Douro überfliegen, er hatte die Karte
genau studiert und über Google Earth versucht, sich einen Überblick über die Lage der Quinta zu verschaffen. Weingut und Kellerei
lagen zwischen Peso da Régua und Pinhão, zwei Orte am südlichen Ufer des Douro. Cima Corgo wurde die Region genannt, »oberhalb
des Corgo-Flusses«. Heiß und trocken war es da, wie er sich erinnerte, ein karges Land mit extrem steilen Weinbergen, faszinierend
in ihrer Wucht und archaisch, zumindest in Nicolas’ Erinnerung, obwohl es seit Jahrhunderten eine Kulturlandschaft war. Der
Landstrich unterhalb von Régua hieß Baixo Corgo, und dann gab es noch den Douro Superior, fast eine Wüstenlandschaft und kaum
zugänglich. Das war das Bergland, das sich von Pinhão bis zur spanischen Grenze erstreckte. In diesen drei Gebieten wuchsen
die Trauben für den Portwein.
Die Landung war sanft. In der Ankunftshalle gab es eine Touristeninformation, die ihn mit einem Plan für die Innenstadt Portos
ausstattete und ihm die Metro-Fahrkarte verkaufte. Ein freundlicher Herr brachte ihn zum Bahnsteig, und andere Fahrgäste bedeuteten
Nicolas, dass sie ihn |48| rechtzeitig vor der Station Bolhão Bescheid sagen würden, wo er aussteigen musste. So freundlich war er bislang nirgends empfangen
worden.
Auch in der Metro freundliche Worte, so klang es zumindest, die Fahrgäste redeten miteinander, anders als das Großstadtschweigen
der Berliner U-Bahn, die er täglich benutzte. Am Stadtrand allerdings der übliche Anblick von Hochhäusern und Eigenheimen,
Doppel- oder Vierfachhäuser, abzahlbar innerhalb eines Angestelltenlebens. Selten warf sich ein Palmwedel über eine weiß getünchte
Mauer, ein Stück verdorrter Rasen, ein verwahrloster Kinderspielplatz, ein paar traurig trockene Büsche und wieder die typische
Vorstadtarchitektur aus Einkaufszentrum, Baumarkt und Möbelhaus. Als es interessant wurde und sich die alte Bausubstanz zeigte,
ging es in den Untergrund, und als Nicolas an der Station Bolhão mit der Rolltreppe an die Oberfläche kam, stand er direkt
vor der zentralen Markthalle. Die vielen kleinen Geschäfte in den Außenmauern und die üppigen Marktstände würden seine Augen
erfreuen, hier würde er das kunstvoll arrangierte Gemüse, geschickt gestapelte Früchte und die auf Eis liegenden Fische zeichnen.
Die üppigen Blumenstände waren weniger sein Ding, dann schon lieber die Besitzer. Leider würde er für Plaudereien kaum Zeit
haben, nach dem Gespräch mit dem Nachlassverwalter am nächsten Tag wollte er sich sofort zur Quinta aufmachen.
Er wandte sich nach links, bog in die Rua Santa Catarina ein, Portos belebte Einkaufsstraße, wo er das berühmteste Café der
Stadt, das »Majestic«, passierte, ein Muss für jeden Besuch in Porto. Nicolas nahm sich vor, heute dort zu
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