Der Portwein-Erbe
Portweininstitut angelangt war. Der Pförtner ließ jemanden holen, der Englisch
sprach, um ihn darauf hinzuweisen, dass er zum Probieren von Portwein ins Solar do Vinho do Porto gehen müsse oder hinüber
nach Vila Nova de Gaia.
»Das IVDP ist eine staatliche Behörde und kein Museum«, erklärte die Mitarbeiterin zuvorkommend, »wir kümmern uns um Qualitäts-
und Mengenkontrolle sowie um die Vermarktung. Doch falls es Sie interessiert . . .« Und schon hatte er das nächste Nachschlagewerk
unter dem Arm, ein umfassendes Werk über die Geschichte des Portweins, Anbau, Rebsorten, Klima, Bodenbeschaffenheit, einfach
alles, was man wissen musste – und dazu noch auf Englisch. Er brauche es nur zu lesen, dann wüsste er das Wichtigste über
Portwein. Allerdings war es lästig, dass er für den Rest des Tages zwei Kilo Papier herumschleppen musste. Beim Weggehen fiel
sein Blick auf einen grob gehauenen Stein vor dem Treppenaufgang, und als hätte die |54| Frau darauf gewartet, gab sie die Erklärung: »Das ist einer der Grenzsteine, ein Marco de Feitoria, mit denen der Marquês
de Pombal 1757 das Portweingebiet am Rio Douro gekennzeichnet hat.« Nicolas konnte sich kaum vorstellen, dass jener Markgraf
einen Stein angefasst hatte. Das hörte sich nach seinem Vater an, wenn er an einem Gebäude vorbeifuhr: »Das habe ich gebaut
. . .« Nichts hatte er angefasst außer Füllhalter und Rechenmaschine, beim Studium hatte er sich sogar ums Praktikum auf der
Baustelle gedrückt.
Die Börse mit ihrer berühmten Glaskuppel nebenan sollte einen Besuch wert sein, doch als Nicolas sah, wie Reisebusse vor dem
Bau geleert wurden, entschied er sich für einen Kaffee am Flussufer.
Er setzte sich, bestellte, betrachtete die leicht gekräuselte Wasserfläche und wunderte sich über das enge Bett des Rio Douro
und dass er so kurz vor der Mündung schmaler war als der Rhein. Er sah die Ausflugsboote der Fünf-Brücken-Tour und fragte
sich, wie weit es bis zum Strand war und ob er dort baden könnte. Aber in Stadtnähe war das Wasser meistens verseucht. Auf
der anderen Seite des Rio Douro, wo lange ziegelgedeckte Lagerhallen, die
lodges
, fast eine Fläche bildeten, lag der Portwein. Früher, soweit er wusste, war er mit Schiffen aus dem 100 Kilometer entfernten
Anbaugebiet hergebracht und in den Hallen gelagert worden, bevor man ihn nach England verschifft hatte. Porto hieß Hafen,
also war es ein Hafenwein, aber auf Deutsch klang das unelegant und billig. Da hatten die Briten weniger Skrupel, und auch
die Portugiesen, sie nannten ihn Vinho do Porto, wie er der Getränkekarte entnahm.
Drüben vor der Uferpromenade dümpelten die kleinen Boote, mit denen die Fässer auf dem Douro hergebracht wurden, Flöße waren
das gewesen und wesentlich größer, wie er im Bildband über Dona Antónia Ferreira gesehen hatte. Diese
barcos rabelos
mussten einst geschoben, gestakt und über Untiefen gezerrt werden, denn der Douro war |55| erst durch Staustufen richtig schiffbar gemacht geworden. Auf dem Rückweg stromauf hatte man sie gesegelt oder getreidelt,
bei den steilen Ufern eine Höllenschufterei, was durch den Bau der Eisenbahn überflüssig geworden war.
Linker Hand überspannte eine silberne Bogenbrücke den Strom im tief eingeschnittenen Flussbett. Der deutsche Konstrukteur,
Theophile Seyring, hatte den Vorgaben der Natur auf intelligente Weise Rechnung getragen. Auf der unteren Ebene der Brücke
gelangten Fußgänger und Fahrzeuge von einem Ufer zum anderen, auf der oberen Ebene, knapp dreißig Meter darüber, fuhr die
Metro von der Oberstadt hinüber zum hoch gelegenen Teil von Gaia. Gestützt wurde der Gleiskörper von einem Rundbogen. Nicolas
war von der Eleganz der Stahlbogenbrücke fasziniert. Diese hier wurde fälschlich Gustave Eiffel zugeschrieben, dabei hatte
sein ehemaliger Angestellter Seyring sie entworfen, den der Starkonstrukteur nach einem Streit ums Geld rausgeworfen hatte.
Gustave Eiffels Bogenbrücke stand weiter stromauf.
Nicolas ging zurück zum Platz vor dem Portweininstitut, wo er einen Geldautomaten gesehen hatte. Um von hier aus ans andere
Ufer zu gelangen, musste er durch einen lauten, hässlichen Tunnel laufen. Direkt vor seinem Eingang stand das bombastische
»Factory House«, wie die britischen Portwein-Exporteure ihren Klub nannten. In dieser Stadt gab es kaum einen Ort, der nichts
mit Portwein zu tun hatte. Noch bevor Nicolas das Ende der Brücke
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