Der Portwein-Erbe
erreichte, drängten sich die englischen Portweinmarken ins
Blickfeld: Croft, Taylor und Sandeman, Graham war dabei, an den Namen erinnerte er sich aus dem Weinladen, doch auch ein portugiesischer
Name war darunter, Ramos Pinto. Die Schriftzüge prangten in überdimensionierten Lettern von den Dächern der Lagerhallen und
von Plakatwänden, selbst Giebel waren damit bemalt. Niemand kam am Portwein vorbei.
Über eine Freitreppe trat Nicolas zwischen Säulen ins |56| Halbdunkel einer Halle. In einem Glaskasten verkaufte ein Pförtner Eintrittskarten für die nächste Führung durch das Lagerhaus.
Nicolas wollte so viel wie möglich wissen, bevor er auf die Quinta kam, damit sie ihn dort nicht zum Besten hielten.
Die Zeit bis zur Führung verbrachte er vor Schaukästen mit mundgeblasenen Flaschen, Korkenziehern und Geräten, deren Funktion
sich ihm nicht erschloss. Es gab Stiche und Gemälde idealisierter Szenen aus dem Weinbau; da schnitten glückliche Frauen die
Weintrauben, Männer brachten sie in Kiepen im Gänsemarsch zur Quinta, auf einem anderen Bild standen sie bis über die Knie
in Trauben und traten den Wein. Sicher war es das Bild, das Happe kannte. In seiner Wohnung hing ein verblichener Zeitungsausschnitt
mit fünf chinesischen Traktorfahrern, die genau die gleichen fröhlich-dümmlichen Gesichter zeigten. Wer lachte schon dauernd
– beim Traktorfahren oder beim Traubentreten? Es sollte eine besonders schonende Methode sein, um den Saft aus den Beeren
zu gewinnen. Natürlich saß ein fröhlicher Musikant auf dem Beckenrand und spielte zur Erbauung, die Frauen der wackeren Treter
lugten durch die Fenster. Der Maler hatte es leichter gehabt als die Männer im Becken.
Auf einem Werbeplakat hob ein Zentaur eine Portweinflasche in die Höhe, während die Frau auf seinem Rücken sich verlangend
danach reckte. Gott Bacchus stieg mit einer Portweinflasche aus einem Weinfass, und eine Flamencotänzerin mit einer Rose zwischen
den Zähnen versprach viel, wenn man nur ihren Portwein trinken würde, oder war sie bereit, dafür alles zu tun? Wo ist meine
Rolle in diesem Spiel, fragte sich Nicolas, was bin ich bereit, dafür zu tun? Nichts gibt es umsonst. Und zum ersten Mal beschlich
ihn ein ungutes Gefühl. Er starrte noch auf die Frau mit der Rose zwischen den Zähnen, als die Besucher gerufen wurden.
|57| Die Gruppe formierte sich, Nicolas schloss sich an, während aus dem Halbdunkel der tiefen Halle ein Gespenst trat, in Mantel
und Hut gehüllt wie die Figur auf dem Dach. Disneyland ist überall, dachte Nicolas. Der Schatten des Hutes fiel über ein blasses
Gesicht, das einer jungen Frau gehörte. Von ihr erfuhren die Besucher, dass ein junger Schotte von seinem Vater das Kapital
für dieses Unternehmen erhalten hatte. Woher hatte Friedrich eigentlich das Geld gehabt, um seine Quinta zu kaufen?
Im Jahr 1811 wurden diese Hallen erworben und waren in den Grundzügen erhalten geblieben. Die Führerin beschränkte sich in
puncto Wein auf das Allernötigste: Er wurde am Douro produziert, bereits dort wurde dem Wein reiner Alkohol zugesetzt, hier
in Vila Nova de Gaia wurde er gelagert und reifte vor der Verschiffung. Abgefüllt und weiterverkauft wurde er in London. Das
war alles. Weit mehr Aufmerksamkeit widmete das Gespenst dem Umstand, dass dieses Portweinhaus als Erstes seine Fässer mit
Brandzeichen, also einem Firmenlogo, versehen hatte. Brav lauschten die Anwesenden und wurden an einer Reihe von cubos auf
gemauerten Sockeln entlanggeführt. Die hölzernen Fuder glichen stehenden Fässern und fassten 40 000 Liter. Darin, so die blasse
Dame, reifte der rubinrote Ruby, der Portwein mit dem typischen Duft von roten Früchten. Derartige Fuder hatte Nicolas auf
Friedrichs Quinta nicht gesehen. Seine Fässer ähnelten den
pipas
, den Fässern mit 550 Litern Inhalt, die in der nächsten Halle übereinandergestapelt lagen. 50 Jahre lang wurden sie benutzt.
Die Reihen verloren sich in der Tiefe des Raums. Alle Fässer waren mit Tawny gefüllt, neben dem Ruby die zweite Klasse der
Portweine. Am Durchgang zur nächsten Halle wies das Gespenst auf einen Strich über ihren Köpfen – bis dorthin war der Rio
Douro im Dezember 1909 gestiegen. Die Antwort auf die Frage, was man mit den Fässern gemacht habe, blieb sie schuldig.
|58| Als man ihnen ein Video zeigte, interessierte sich Nicolas mehr für die Dachkonstruktion als für die bunten Weinimpressionen
auf dem
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