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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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hatte, die er mitsamt dem Land gekauft und wo er das Wohnhaus hatte errichten lassen. Bis zum
     ersten Stock bestand das Gebäude aus Schiefer und Granit, den Resten der Ruine, der obere Teil war auf die alten Grundmauern
     aufgesetzt, verputzt |84| und weiß gestrichen. Es war ein spannender Kontrast zwischen dem schweren Fundament und dem leichten Aufbau.
    Rechts vom Haus führte eine Treppe aus Schieferplatten an einer Mauer hinauf in einen Garten, dessen Ausmaße man erst oben
     erkannte. Es war mehr ein kleiner Park mit viel Schatten, mit Agaven und Kakteen, Lorbeer, Rosen und unbekannten Bäumen. Oleander
     und Hibiskus, eine lila Bougainvillea bedeckte die Nordseite des Hauses, Mimosenbäume fand Nicolas hier. Lavendel und Thymian,
     Salbei und Rosmarin wuchsen am Rande des Parks. Der Gemüse und Kräutergarten im Halbschatten war so gut gepflegt, dass die
     Quinta unmöglich verlassen sein konnte. Da hatte heute jemand gewässert, die Erde war dunkel und fühlte sich feucht an. Dann
     waren der Hausbesorger und die Köchin nur mal eben weggefahren?
    Soll ich auf sie warten? Was sage ich ihnen? Dass jetzt alles mir gehört, auch der Kräutergarten, und dass alle von jetzt
     an für mich arbeiten, für mich kochen müssen und meinen Anweisungen zu folgen haben? Und das alles auf Deutsch? Was für ein
     Unsinn. Worauf habe ich mich eingelassen?, fragte er sich. Aber so ist es. Wenn ich das Erbe antrete, haben alle meinem Kommando
     zu folgen. Dabei verstehe von allem hier am wenigsten, und vom Wein habe ich keinen blassen Schimmer, geschweige denn vom
     Weingeschäft.
    Aber das Anwesen gefiel ihm, die Landschaft faszinierte ihn, er mochte den warmen Duft, die Farben der Orangen und Zitronen
     im Garten – oder waren es Limetten? Im Halbschatten lag ein großer Stein, und er setzte sich, schaute über die Weinberge,
     sah ein Stück vom Fluss, seine Biegung, betrachtete den Himmel über dem jenseitigen Ufer ... Kreuzdonner, da war doch was
     – dieser Köter.
    »Komm schon, zeig dich«, rief Nicolas lockend. Der Hund sah ihn erstaunt an, es wirkte zumindest so, dann lief er zu einem
     Wasserbecken. Er trank mit eingezogenem |85| Schwanz und blickte fluchtbereit jede Sekunde zu Nicolas hin, gehetzt und so verängstigt, dass auch Nicolas schaute, ob sich
     doch jemand näherte.
    Das war nicht der Fall, und er setzte seinen Rundgang fort, folgte dem schattigen Weg durch den Garten und gelangte auf einen
     mit Schieferplatten gepflasterten Hof, in U-Form von Gebäuden eingerahmt. Gegenüber, quer zum Berghang, war die zweigeschossige
     Halle in den Berg hineingebaut, zum oberen Stockwerk führte eine Auffahrt. Nicolas rüttelte an dem Tor, es war verschlossen,
     wie auch die Flügeltüren im Untergeschoss. Diese Halle war bereits damals hier gewesen. Innen standen die großen hölzernen
     Fuder mit dem Portwein, wie er sich erinnerte, die
tinas
. Im rechten Winkel schloss sich ein offener Schuppen an. Unter einem Dach stand ein kleiner Raupenschlepper, geradezu niedlich
     in den Ausmaßen, daneben stand eine Maschine, die ihn an die indische Göttin Kali mit ausgestreckten Armen erinnerte: Um eine
     Art von Gebläse waren im Kreis dicke Schläuche angeordnet. Es war ein Aufsatz, der sich an einen Traktor oder diese Raupe
     koppeln ließ. Der Tank hinter dem Fahrersitz brachte Nicolas auf die Idee, dass mit diesem Aggregat irgendetwas versprüht
     wurde, wahrscheinlich Pflanzenschutzmittel. In einer Ecke unter einer Plane stand ein Motorrad.
    Da tauchte der Hund wieder auf. »Jetzt komm oder verschwinde«, rief Nicolas unwillig und wunderte sich, dass der verwahrloste
     Köter ihn immer mit geneigtem Kopf ansah, kaum dass er ein Wort sagte.
    War unten vor dem Haus kein Fetzen Papier zu sehen, so lagen hier oben Verpackungen herum. Fassdauben bleichten wie Knochen
     in der Sonne, die Ackergeräte in der Remise waren nach Gebrauch nicht gereinigt worden, der Wind trieb einen leeren Papiersack
     vor sich her, und irgendwo klapperte ein Fensterflügel. Vor dem letzten Gebäude lagen unordentlich gestapelte Paletten, daneben |86| standen in zerfetzte Folie gehüllte Flaschenstapel. Das sah nicht aus wie ein Musterweingut, von einer eingespielten Mannschaft
     betrieben. Außerdem war es für Nicolas’ Empfinden viel zu still, geradezu totenstill. Hat die Mannschaft nach dem Tod des
     Kapitäns das Schiff aufgegeben?, fragte er sich. Dann verschwinde ich besser bald.
    Aber für heute musste er sich eine Unterkunft suchen.

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