Der Portwein-Erbe
Kotflügel, von Sommerblumen eingefasst, und Rücklichter an Heidekraut.
Allein dafür hatte sich die Reise gelohnt. Das versöhnte ihn ein wenig mit der niedergedrückten Stimmung, die seit dem Besuch
bei Pereira auf ihm lastete.
Als sich die Straße dann kurz vor Mesão Frio zwischen zwei Bergen durchschlängelte, öffnete sich das Tal des Rio Douro in
dramatischer Weite. Der Anblick nahm Nicolas den Atem. Es schien steil hinabzugehen, tief unter ihm wand sich der aufgestaute
Fluss in vollständiger Ruhe und einem so tiefen Blau, wie es nur der Himmel des Südens annehmen konnte, ein Blau, um fast
darin zu ertrinken. Die Berge, obwohl steil und wuchtig, waren mit frischem Grün aller Schattierungen bedeckt, Weinlaub in
senkrechten, waagerechten und schräg verlaufenden Linien, dazwischen stützten braune Steinmauern die Terrassen. Hier und dort
ein dunkler Fleck, ein Waldstück, ein in der Nachmittagssonne leuchtendes Gehöft oder eine Quinta, rote Dächer und weiße Wände,
hier wuchs ein alter Turm aus dem Weinberg, dort eine Kapelle oder Ruine, ein Weiler an einem mit Olivenbäumen bedeckten Abhang.
Und darunter die geschwungene, in den Farben des Himmels schimmernde Wasserfläche, von einem kräftigen Wind aufgeraut. Dann
hupten sie wieder, Lastwagen drängelten, wollten vorbei, er war den Ausflüglern im Weg, störte die Eiligen, er war lästig.
Für Nicolas war der Anblick grandios – für alle anderen war er alltäglich, ein Anblick, an den kaum jemand Zeit |80| verschwendete. Die Straßen wurden enger, fast schrammte er in den Dörfern an Mauern und Straßenbäumen entlang, und als er
auf Höhe des Flusses war, entging er in einer Bahnunterführung nur knapp einem Zusammenstoß. Der Verkehr nahm ihn so in Anspruch,
dass ihm kaum Zeit für die Betrachtung der Landschaft blieb. So grandios hatte er sie nicht in Erinnerung, weder so farbenfroh
noch so abwechslungsreich, als 20-Jähriger sah man anders als mit 30. Der Blickwinkel hatte sich verschoben, seine Wahrnehmung
hatte sich geändert.
An der Uferpromenade von Peso da Régua erinnerte er sich weniger an das Städtchen als an die alte, nie befahrene Eisenbahnbrücke
über dem Fluss. Die das Tal überspannende Autobahnbrücke dahinter stand damals noch nicht. Er passierte den Ort, wie von Pereira
eingezeichnet, und überquerte den Fluss. Auf der anderen Seite führte die Landstraße weiter. Viel Raum zwischen Wasser und
Berg blieb nicht, und als er die Staumauer erreichte, hielt er entnervt. Die Eindrücke nahmen ihn gefangen, der Verkehr regte
ihn auf, doch der wirkliche Grund seines Herzklopfens war der bevorstehende Besuch auf der Quinta do Amanhecer. Wovor hatte
er Angst?
Als er sich beruhigt hatte, fuhr er weiter stromaufwärts in Richtung Pinhão. Bis zur Quinta war es nicht mehr weit. Er bog
an einem fast ausgetrockneten Bach rechts ab, überquerte eine Brücke und folgte der Straße bis zu einer Ruine. Dort sollte
der Weg zur Quinta abzweigen. Er fand ihn, obwohl er fast von Bäumen verdeckt war. Hier ging die Asphaltstraße in einen Schotterweg
über, der so steil anstieg, dass Nicolas sich fragte, ob der Wagen die Steigung schaffen würde. Er fürchtete, hintenüberzufallen
oder seitlich abzurutschen. Der Wagen krachte durch Schlaglöcher, setzte auf, Steine prasselten von unten gegen das Chassis.
Glücklicherweise wurde der Weg hinter einer engen Kurve wieder flach. Wahrscheinlich hatte Friedrich den Weg so |81| belassen, um sich Besucher vom Leib zu halten, was typisch für ihn gewesen wäre. Wie kamen die Lastwagen hier rauf, die den
Wein abholten? Hier braucht man wirklich einen Geländewagen, dachte Nicolas, denn bei seinem Fiat drehten bereits die Reifen
durch.
Er durchquerte einen Olivenhain und folgte an einer Weggabelung den breiteren Fahrspuren im Sand, die von einem Lieferwagen
stammten, und hielt sich eng an die Natursteinmauer. Jetzt lag der Fluss rechts von ihm. Er suchte nach einem Haus, nach einer
Baumgruppe, aber er steckte zwischen schmalen Terrassen, darauf nur eine oder zwei Reihen Rebstöcke. Als er aus dem Hohlweg
heraus war, lag das Anwesen vor ihm, er war angekommen. »Quinta do Amanhecer« stand in einer verschnörkelten Schrift auf einem
Messingschild an einer der Säulen des offenen Tors. Über eine Ecke des Schildes hatte jemand einen Trauerflor gehängt.
Nicolas hielt – was sollte er jetzt tun? Unten im Tal blinkte ein Ausschnitt des Flusses. Seine
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