Der Portwein-Erbe
Montag würde er wiederkommen. Dann würde der Verwalter wohl da sein
und auch die Sekretärin mit den Englischkenntnissen und der ehemalige Arbeitsemigrant. 550 Euro verdienten die Arbeiter im
Monat. Wer sollte davon leben? Als er unterwegs eingekauft hatte, hatte er kaum einen Preisunterschied zu Berlin gemerkt,
lediglich Obst und Gemüse waren billiger.
Der Hund beobachtete ihn aus sicherer Entfernung beim Einsteigen. Nicolas griff in seine Einkaufstüte, schnitt von der Wurst
ein Stück ab und warf es ihm hin. Fast wie ein Raubtier schlich sich der Hund an, schnappte ausgehungert den Brocken und verschwand.
Sekunden darauf war er wieder da, Nicolas warf das nächste Stück nicht so weit, der Hund kroch noch vorsichtiger näher. Er
kam auch dann, als Nicolas ihm ein Stück Brot zuwarf. Aber plötzlich war eine unsichtbare Grenze erreicht, und was er ihm
auch zuwarf, der Hund kam nicht näher. Erst als Nicolas abfuhr, sah er im Rückspiegel, wie der Hund sich gierig darüber hermachte.
Wieder auf der Uferstraße bemerkte Nicolas, dass Friedrichs Quinta längst nicht die einzige war. Er kam an der Quinta do Panascal
vorbei, passierte die Quinta do Seixo, am anderen Ufer gegenüber lagen diverse Betriebe, sowohl am Wasser wie auch auf den
Bergen, und rechts hinter der Brücke von Pinhão deuteten Reihen von Edelstahlzylindern und als Halbkugeln gemauerte Tanks
an der Bahnstrecke auf eine Großkellerei oder Kooperative hin.
Gegenüber vom Bahnhof fand Nicolas eine Pension, die weniger auf Touristen als auf Lastwagenfahrer und Vertreter |87| von Kellereibedarf eingestellt war. Er bezog ein kleines Zimmer mit einem Balkon nach vorn heraus. Er öffnete die Balkontür
und legte sich aufs Bett. Es beunruhigte ihn, dass er niemanden auf der Quinta angetroffen hatte, und er fragte sich, wie
der Empfang am Montag ausfallen würde. Oder sollte er am nächsten Tag bereits mit dem Erkunden beginnen und das Anwesen zeichnen?
Es war seine Methode, die Dinge zu begreifen. Beim Betrachten sah er oft das Wesentliche nicht, er erkannte es erst auf seinem
Bild.
Nach dem Abendessen ging er hinunter zum Fluss, bestellte in der Bar einen Portonic und sah dem Barkeeper, einem ungeschlachten
Bauern, dabei zu, wie er das Glas zu einem Drittel mit weißem Port, einem Drittel mit Tonic und den Rest mit gestoßenem Eis
auffüllte. Für die abendliche Hitze war das ein ideales Getränk. Er hörte den Leuten zu, verfolgte ein Fußballspiel im Fernsehen,
ließ von der Pontonbrücke die Beine baumeln und starrte ins Wasser.
|88| 5.
Morgenröte
»
No visitors, no visitors!
« Der Mann, der sich in der Bürotür vor Nicolas aufgebaut hatte, fuchtelte ihm mit den Händen vor dem Gesicht herum. »
No visitors, my friend!
«
Das also war der Verwalter, Vasco Gonçalves, der sich vor ihm aufspielte. Ich bin nicht dein Freund, dachte Nicolas verärgert,
und ich hab verstanden, dass du keine Besucher willst, dazu musst du nicht so brüllen.
Statt ihm entsprechend zu antworten, beließ Nicolas es bei dem üblichen
tudo bem
, es sollte so viel heißen wie: alles klar, alles in Ordnung, hab verstanden. Er hatte es aus dem Sprachführer, und ob er
es richtig ausgesprochen hatte, war ihm egal. Dass der Verwalter ihn derartig anfuhr, zeigte, dass er nicht begriffen hatte,
wer vor ihm stand, obwohl Nicolas seinen Namen genannt und erklärt hatte, der Neffe Friedrich Hollmanns zu sein. Oder hatte
der Verwalter es nicht verstehen wollen? Dass es ihm gleichgültig war, konnte Nicolas sich kaum vorstellen – es gab allerdings
die Möglichkeit, dass seit Friedrichs Tod hier niemand mehr durchblickte.
Das wird es sein, dachte Nicolas, denn der übergewichtige Mann mit der Halbglatze, dem selbstgefälligen Doppelkinn und den
misstrauischen Augen zwischen leicht geschwollenen Lidern, der sich unwillig hinter seinem Schreibtisch hervorgequält hatte,
machte weder den Eindruck besonderer Intelligenz, noch sah er nach einem Arbeitstier aus.
|89| Nicolas versuchte es auf anderem Weg: »
But your secretary, Lourdes, speaks English, Senhor Pereira, the lawyer, told me.
« Dass der Rechtsanwalt darauf hingewiesen hatte, dass die junge Dame im Büro Englisch spreche und vermitteln könne, interessierte
Gonçalves nicht im Geringsten. Die junge Frau, um die es ging, saß im Nebenraum und schaute durch die Glasscheibe herüber,
sie wäre jeden Moment aufgesprungen, um zu helfen, sie wartete nur darauf, doch der böse
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