Der Portwein-Erbe
geschlagen. Die Linke presste sie auf den Bauch, den eine bis weit über die Knie reichende Schürze
bedeckte. Da hatte er wohl die Köchin vor sich, Dona Firmina, von deren Kochkünsten Pereira geschwärmt hatte. Hatte die nicht
damals schon hier gearbeitet?
»
Bom dia, Dona Firmina
.« Es war einen Versuch wert, dem Verwalter Paroli zu bieten und sich nicht einfach rausdrängen zu lassen, ohne gleich mit
dem Erbschein zu wedeln.
Die Hand verschwand vom Mund, der zweimal zuklappte, als wolle er etwas sagen, als der Verwalter sich umdrehte und die Köchin
ins Haus scheuchte. Nicolas setzte sich in den Wagen. Gonçalves wartete in der Bürotür, um ihn verschwinden zu sehen, und
meinte, ihm noch einmal die Richtung zeigen zu müssen, in der die Ausfahrt lag. Nicolas hätte ihm am liebsten den Mittelfinger
gezeigt.
|92| Als er sich außer Sichtweite glaubte, stoppte er und ging zurück. Er wollte sehen, wie es dort weiterging, wenn er auch die
Sprache nicht verstand, so war der Ton durchaus verständlich. Er schlich geduckt durch die Rebzeilen. Es war mühselig, denn
sie verliefen quer zum Hang, und Nicolas musste sich durch die Spanndrähte quälen. Er sah nichts. In den Büroräumen war es
dunkel, und Stimmen hörte er auch nicht, also ging er zurück zum Wagen. Da saß der Hund. Als Nicolas ihn rief, kam er näher,
blieb aber auf Abstand. »Gonçalves kann uns beide nicht leiden, Hund, wir sollten zusammenhalten.« Bei Nicolas’ Worten spitzte
er die Ohren und legte den Kopf mal nach rechts, mal nach links. Das Tier wirkte verwirrt.
Er hatte nichts im Wagen, was er ihm hätte hinwerfen können. Es gab lediglich eine Flasche Wasser, doch keinen Napf. Nicolas
goss ein wenig Wasser in seine Hand, der Hund kam geduckt näher, blieb aber zwei Meter entfernt sitzen. Als Nicolas auf ihn
zuging, wich der Hund zurück. Wenn Nicolas einige Schritte zurück machte, folgte der Hund, drehte er sich um, ging er wieder
auf Abstand. Als Nicolas zum Haus von Madalena Barbalho fuhr, war er verschwunden.
Der Weg hinauf war nicht so quälend wie der zur Quinta. Das Gebäude, bei dem an sämtlichen Fenstern die Rollläden heruntergelassen
waren, stand wie das Wohnhaus quer zum Hang und war mit der langen Seite nach Osten ausgerichtet. Hier umschloss eine Terrasse
mit Schieferboden das Haus, es war an zwei Seiten überrankt. Nach hinten, nach Norden, schloss sich ein gepflegter Garten
an, in dem eine Wasserfläche blinkte: der Pool. So lässt es sich leben, dachte Nicolas, vergewisserte sich, dass niemand in
der Nähe war, zog sich aus und sprang ins Wasser. Es tat ihm gut, er wusch den Dreck ab, den der Verwalter ihm angehängt hatte.
Nackt setzte er sich in die Sonne und ließ sich trocknen. War es nicht großartig, was Friedrich geschaffen |93| hatte? Sein Vater hatte das nicht hinbekommen, obwohl er etliche Millionen mehr angehäuft hatte, als Friedrichs Besitz wert
war. Aber eben nur Millionen, Geld, Möglichkeiten, von denen keiner was hatte und die ihm unablässig mehr Kopfzerbrechen bereiteten:
Wo konnte man um Himmels willen die Gewinne noch gewinnträchtiger anlegen? Der Himmel würde ihm nicht helfen, und er, Nicolas,
auch nicht!
Nur Friedrich hatte von all dem auch nichts mehr, nichts hatte er mitnehmen können, und nun lag alles verwaist da. Das Haus
war verrammelt, vor der Haustür war ein schweres Gitter, die Fensterläden geschlossen, verlassen auch der Garten. Also war
Madalena Barbalho wirklich verreist. Das war verständlich, dass sie sich lieber bei Verwandten aufhielt, statt hier oben zu
bleiben, wo ihr Lebensgefährte gestorben war. Es musste schrecklich sein, neben einem Toten aufzuwachen, allein die Vorstellung
war grauenvoll. Er selbst würde einen Schock fürs Leben davontragen, wenn er morgens die Hand ausstreckte und dann einen kalten,
leblosen Körper berührte. Trotz der Hitze in der prallen Sonne lief ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Er zog sich an und
trat an die Brüstung der Terrasse. Was nutzte einem der endlose Ausblick auf die Berge, der schimmernde Fluss da unten, dieser
Himmel mit dem Blau, um darin zu ertrinken? Machte das den Schmerz nicht noch schlimmer, die Einsamkeit quälender, den Verlust
fühlbarer? Oder stellte er sich zwischen Friedrich und seiner Madalena eine ideale Situation vor, wie er sie selbst nie erlebt
hatte? Wenn er an Sylvia dachte – sie fehlte ihm nicht. Sie hätte ihm keine Ruhe gelassen, besonders
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