Der Portwein-Erbe
Mietwagenfirma sein Gepäck in einen kleinen knallblauen Fiat. Für eine Woche |77| hatte er ihn gemietet, sieben Tage würden reichen. Er machte sich mit der Karte vertraut und quälte sich durch ein undurchsichtiges
System von Einbahnstraßen aus der Stadt in Richtung Autobahn. Er war lange nicht Auto gefahren und fühlte sich unsicher. Portos
Hochhaussiedlungen blieben auf beiden Seiten der Autobahn zurück, gesichtslose Blocks mit günstiger Verkehrsanbindung. Hügel
rückten heran, kleine Häuser, Gehöfte, die Autobahn wand sich zwischen den Bergen hindurch, auf ihrem Rücken und an den Flanken
verbrannte Flächen: Auch hier waren die Wälder abgebrannt, Baulandgewinnung durch Brandrodung, kein gutes Zeichen. Nicolas
erinnerte sich an ein Waldstück auf dem Berg oberhalb von Friedrichs Kellerei. Bei der falschen Windrichtung konnten die Flammen
auf die Gebäude zugetrieben werden. Den Sommer über sollte es dort so gut wie nie regnen, erst im September war mit Schauern
zu rechnen. Und wenn bei fortschreitendem Klimawandel der Regen ausblieb? Ich muss aufhören, Katastrophenszenarien zu entwickeln,
sagte er sich, ich werde in keine Erbschaftsfalle laufen und mich auf das konzentrieren, was ich hier will: mehr über Friedrich
erfahren, und dazu brauche ich diese Dona Madalena und Seu Otelo. Seu war die Kurzform von Senhor, wie Pereira erklärt hatte,
Pereira hatte sowieso viel erklärt.
»Halten Sie sich an Seu Otelo und an diesen Adão oder Antão. Die Sprache wird für Sie das größte Problem sein – mit dem Wein,
das kann man lernen, zumindest in technischer Hinsicht. Sie haben eine gute Bildung, das hilft. Außerdem läuft der Betrieb
wie gewohnt. Der Wein wächst, ob nun derjenige gestorben ist, der ihn gepflanzt hat, oder nicht, ich glaube, das ist gleichgültig.«
Da hatte Nicolas seine Zweifel. Wenn Friedrich die Seele der Quinta gewesen war und ohne Seele alles tot war, würden das auch
die Weinstöcke merken. Aber es gab diesen Otelo. Dummerweise hatte er vergessen zu fragen, in welcher |78| Sprache er sich mit ihm und auch mit Madalena Barbalho verständigen konnte. Ach, alles lässt sich im Kopf wälzen, bis es platt
ist und zu nichts mehr taugt.
Teufel auch! Beinahe wäre Nicolas mit voller Geschwindigkeit in die Mautstelle gefahren. Glücklicherweise hatte der Wagen
gute Bremsen. Nicolas zahlte den Betrag, der auf der Anzeige erschien, und fuhr auf einer Schnellstraße weiter. Die Berge
wurden steiler, die Bäume höher und grüner, der Wald wurde dichter, die Ausblicke wurden majestätischer, die Kurven enger,
und hinter der Stadt Amarante bog er nach Mesão Frio ab. Was
mesão
bedeutete, wusste er nicht,
frio
jedenfalls hieß kalt. Er musste sich ernsthaft Gedanken machen, wie er Portugiesisch lernen wollte. Nein, er war wieder zu
schnell, diese Entscheidung stand gar nicht an. Er musste seine Gedanken besser ordnen, es hing viel davon ab, die Spielerei
war vorbei.
Auf beiden Seiten der Landstraße wuchs Nadelwald, dazwischen standen Eichen und Pinien, auf den Bergen ringsum schuf der blühende
Ginster knallig gelbe Flecken. Nicolas blieb eine Weile hinter einem Sattelschlepper. Die Strecke war unübersichtlich, andere
Fahrer jedoch ließen sich davon nicht abschrecken und überholten mit Todesverachtung in unübersichtlichen Kurven und fädelten
sich vor dem finalen Zusammenprall wieder ein. Entgegenkommende Lastwagen donnerten im Abstand von Millimetern an ihm vorbei.
Das war nichts für seine Nerven, hier konnte er unmöglich bleiben, unter einem Volk von wahnsinnigen Autofahrern. Obwohl er
eindeutig der Langsamste auf der Landstraße war, würde er über kurz oder lang an einem Baum enden oder den Berg hinabrollen.
Die Folgen der portugiesischen Fahrweise fand er einige Kilometer weiter auf einem Schrottplatz, was ihn mit der nervenaufreibenden
Fahrt versöhnte. Er hielt vor der Einfahrt, nahm die Kamera, der Mann in der Bude an der Schranke nickte, und Nicolas genoss
den Anblick der Vergänglichkeit |79| und des Zerfalls; vor ihm breitete sich in Kunststoff, Glas, Blech und Gummi der Untergang des Abendlandes aus. Das war fast
so schön wie Bauruinen. Und das alles befand sich unter einem strahlend blauen Himmel inmitten geradezu kreischend gelber
Ginsterbüsche. Er entdeckte ein Autowrack, das längst mit dem Boden verwachsen war, mitten durchs Chassis wuchs eine Pinie,
es war das Bild, das er gesucht hatte, dazu rostige
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