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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Augen folgten dem diesseitigen,
     mit Reben bestandenen Hang, trafen weiter oberhalb auf Laubbäume und eine Palme mit langen Wedeln. Das ist sie, erinnerte
     er sich und lächelte. Dahinter auf gleicher Höhe war ein Parkplatz, von Bäumen überschattet, links davon stand das Haus, in
     dem er gewohnt hatte. Es war ein stattlicher, aber doch leicht wirkender zweigeschossiger Bau mit einer Art Walmdach. Eine
     Terrasse lief im Obergeschoss um die Süd- und Ostfront des Hauses. Wein oder Efeu rankten daran empor. Oberhalb des Hauses,
     getrennt durch einen terrassierten Hang, lagen die Kellereigebäude, und ein erhebliches Stück darüber, fast auf der Spitze
     des Berges, sah er ein Dach. Es musste Friedrichs Haus sein, es hatte bei Nicolas’ letztem Besuch noch nicht dort gestanden.
    Nicolas setzte sich an den Wegrand, und statt weiterzufahren, schälte er eine Orange. Der überhitzte Motor des |82| Wagens knackte. Er roch hier in der Natur das verbrannte Öl, der Geruch war durchdringend. Wahrscheinlich war er das immer,
     auch in der Stadt, nur da roch es überall so. Er hörte eine Grille, dann zwei, ein Vogel mischte sich ein, er vernahm den
     Flügelschlag einer Taube, etwas knackte, und er bemerkte eine flüchtige Bewegung im Weinlaub und meinte, einen Schatten gesehen
     zu haben, wahrscheinlich ein Rebhuhn. Er aß die Orange und spürte die Ruhe in sich dringen, als käme sie aus dem Boden. Das
     beunruhigte ihn wieder, es war das Gefühl einer vagen Bedrohung, er stand auf, sah sich um – aber es gab weit und breit nichts,
     was ihm einen Grund für dieses Gefühl hätte geben können.
    Erst jetzt bemerkte er, wie nah er den Bergen war, wie steil und stark sich das Gebirge aufgefaltet hatte. Kuppen und Hänge
     waren rund und weich, fast sanft, und trotzdem wirkten sie unzugänglich. Hatten die Berge immer diese Form gehabt, oder war
     es menschlichen Händen und Hacken zu verdanken, die vor Jahrhunderten die Berge nutzbar gemacht hatten?
    Er sollte weiterfahren, er wollte die Quinta sehen, so rasch wie möglich, doch er würde mit niemandem sprechen können, außer
     mit dem Verwalter oder Lourdes, der Sekretärin, falls sie noch arbeitete, und das war an einem Samstagnachmittag unwahrscheinlich,
     aber die Hausbesorger würden da sein. Außerdem hatte Pereira ihm einen riesigen Schlüsselbund überreicht, damit konnte er
     alle Räume betreten. Doch es wäre unklug, die Mitarbeiter zu übergehen.
    Am Tor waren weder eine Klingel noch eine Gegensprechanlage und auch keine versteckte Videokamera. Nicolas wollte gerade einsteigen
     und weiterfahren, als er die Orangenschalen sah. Er wunderte sich über sich selbst, als er sie aufsammelte – das tat er sonst
     nicht, es war organischer Müll. Er stieg ein, fuhr zum Wohnhaus und parkte neben |83| einem grauen Geländewagen im Schatten unter einem Blätterdach. Er schlug die Wagentür so laut zu, dass man ihn hören musste.
     Er wartete – niemand rührte sich. Er ging aufs Haus zu. Die linke Gebäudehälfte war durch einen Vorbau erweitert worden, dort
     lagen die Büros, das Dach diente als Terrasse. Hinter vergitterten Fenstern standen unordentlich hinterlassene Schreibtische
     und Aktenschränke, die Kaffeetassen waren nicht weggeräumt, und im Hintergrund an der Wand stand eine große Vitrine mit Gläsern
     und Flaschen. Im Obergeschoss waren alle Fensterläden geschlossen. Auf sein Klopfen und Rufen hin geschah nichts.
    Wieder meinte Nicolas eine Bewegung hinter seinem Rücken bemerkt zu haben. Stirnrunzelnd beobachtete er die Umgebung, das
     Gefühl, nicht allein zu sein, nahm zu. Wäre jemand auf dem Parkplatz gewesen, er hätte es gesehen, und auch rechts, wo es
     hinter der Palme übergangslos in die Weinberge ging, tat sich nichts.
    Die Vögel zwitscherten weiter, und die Blätter raschelten im Wind wie vorher. Aber dieses Mal sah er ihn, zumindest seinen
     Schatten – zwischen den Weinstöcken verschwand ein magerer Hund. Na, wenigstens einer kommt mich begrüßen, dachte Nicolas,
     oder hat Pereira niemanden von meinem Kommen unterrichtet?
    Bis auf das Büro machte die Quinta einen verlassenen Eindruck. Das war sie auch, Friedrich hatte sich davongemacht – und sie
     ihm überlassen. Was sollte er in dieser verdammten Einöde damit anfangen? Wo blieben der Hausbesorger und seine Frau?
    Enttäuscht ging Nicolas zum Wagen zurück. Soweit er sich erinnerte, hatte Friedrich ihm erzählt, dass er damals an dieser
     Stelle eine Ruine vorgefunden

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