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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Blätter mal gezackt wie ein Sägeblatt, dann wieder rund oder halbrund wie ein Hufeisen, andere waren gebuchtet, schmal oder
     länglich. Er verglich die Blätter eines Weinstocks miteinander, dann die mehrerer Weinstöcke und fragte sich bei den Unterschieden,  |101| ob es sich um verschiedene Rebsorten handelte. Er bemerkte die unterschiedliche Struktur des Holzes und der Fasern, die sich
     wie Bast von den Stöcken lösten.
    Da hörte er den Hund hinter sich und gab ihm das mitgebrachte Hundefutter. Das Tier schlang es herunter, legte sich in der
     Nähe nieder und schnarchte. Doch immer wieder zuckte der Kopf hoch. Nicolas kam eine Idee und er rief Carlos an. Nach einigen
     Fragen, die Nicolas ausweichend beantwortete, kam er auf den Besuch seines Onkels in Gaia zu sprechen.
    »Ich habe dir erzählt, dass dieser Chico Alemão, der Besitzer von der Quinta do Amanhecer, tot ist.«
    »Du hattest recht, ich habe mich erkundigt, leider stimmt es. Was ist mit ihm?«
    »Du sagtest, er sei immer mit einem Hund erschienen, nicht wahr?«
    »Korrekt, und weiter?«
    »Kannst du dich erinnern, wie das Tier aussah?«
    »Du stellst Fragen! Wieso willst du das wissen?«
    Nicolas sah jetzt keine Veranlassung mehr zu schwindeln. »Ich bin hier auf seiner Quinta, und da läuft mir ein Hund nach,
     schwarz, einen weißen Fleck am Hals, mager, verdreckt, eine spitze Schnauze, nichts Reinrassiges, eine Mischung, nach oben
     gedrehter Schwanz.«
    »Könnte sein, aber ich müsste ihn sehen, um es genau zu sagen. Was soll das Ganze?«
    »Weißt du zufällig, wie der heißt?«
    »Der Hund? Ich glaube, der hieß ... Perúss oder so. Ja, Perúss.«
    »Bedeutet das irgendwas?«
    Carlos seufzte. »Ich dachte, du bist wegen des Portweins gekommen.«
    »Bin ich auch.«
    Nicolas hielt die Hand über das Mobiltelefon. »Perúss«, rief er leise, »Perúss.« Der Hund sprang auf und sah sich |102| um. »Ich glaube, er ist es«, sagte Nicolas lachend, »du, ich erkläre dir alles morgen oder übermorgen. Wie weit ist es bis
     nach Vila Real?«
    »Nicht weit, du kannst mich jederzeit besuchen kommen. Übrigens, ich soll dir noch etwas sagen: Ich habe meiner Freundin von
     dir erzählt, die hat so einen Hang zum Okkulten, zu Wahrsagern und Kartenlegern. Das ist glücklicherweise ihr einziger Spleen,
     na, bis auf die, die ich noch nicht kenne. Sie rennt alle zwei Wochen zu einer Brasilianerin, spirituelle Mutter nennt sie
     die, und lässt sich die Zukunft voraussagen. Es wurden ja allerlei obskure Leute mit dem Zusammenbruch unseres Weltreichs
     in Portugal angespült. Ich war mal mit ihr bei der Frau. Recht beeindruckend, sie wirft Kaurimuscheln und liest daraus die
     Zukunft oder entdeckt geheime Kräfte. Ich glaube nicht an den Schwachsinn, aber die Frau hat meistens recht. Sie hat von dir
     gesprochen, was ich merkwürdig finde, von einem Deutschen, der ein Ufer sucht, und ich soll dir was ausrichten: Nimm dich
     in acht vor schwimmenden Bergen, die Gefahr käme aus den Bergen. Und du sollst schauen, wo du hintrittst ... also,
amigo
, mein Freund, verzieh dich ins Flachland.«
    Nicolas steckte das Mobiltelefon weg und wandte sich dem Hund zu. »Perúss!«, rief er, und der Hund kam näher, aber wie sehr
     Nicolas ihn auch lockte, so nah, dass er ihn anfassen konnte, kam der Hund nicht. Seine Anwesenheit gab Nicolas das Gefühl,
     nicht gänzlich auf sich selbst gestellt zu sein. Außerdem gab es ja Carlos – und diese Brasilianerin. Sicher hatte Carlos’
     Freundin von ihm erzählt. Vorhersagen funktionierten immer nach demselben Schema. Je allgemeiner sie formuliert waren, desto
     sicherer trafen sie ein. Klar musste man aufpassen, wohin man trat. Aber was zum Teufel waren schwimmende Berge?
     
    |103| »Waren Sie gestern noch im ›Vintage House‹?«, fragte Pereira, als er sich im Hotel zu Nicolas setzte, der an einem Tisch mit
     Blick auf Réguas drei Brücken wartete.
    »Zu alt, das Publikum, ist nicht meine Szene«, sagte Nicolas kurz.
    »Hätte mich auch gewundert«, meinte Pereira schmunzelnd, »bei dem Onkel. Manchmal lassen sich derartige Besuche nicht vermeiden.
     Wenn Sie die Quinta übernehmen – oder haben Sie es sich heute Nacht anders überlegt? –, und sei es auch nur für die Bedenkzeit,
     kommen Sie nicht darum herum, in gewissem Rahmen zu repräsentieren. Ob Sie wollen oder nicht, wenn Sie es nicht können, müssen
     Sie es lernen. Sie produzieren keine Billigweine, sondern individuelle und teure Produkte. Sie

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