Der Portwein-Erbe
verkaufen eine Idee, eine Vorstellung,
den Geschmack einer Region, Kennerschaft, auch das Selbstbild des Kunden, denn er muss sich schätzen, weil er sich etwas gönnt,
nämlich Ihren Port oder Ihre Weine. Sie verkaufen die Anerkennung, die er gewinnt, wenn er die Flasche seinen Gästen zeigt.
Ihr zehn Jahre alter Port kostet das Vielfache einer Billigmarke, beim Tischwein ist es ähnlich. Haben Sie ihn probiert?«
»Gewiss, in Berlin, ich habe ihn auch zu Ihrem Kollegen Dr. Hassellbrinck mitgenommen. Er war begeistert. Aber hier habe ich
nichts probiert. Gonçalves hat mich ja sofort rausgeworfen, ich bin nicht einmal durch die Tür gekommen.«
Pereira steckte den Kopf suchend in seine Aktentasche.
»Unverständlich«, murmelte er, »völlig unverständlich. Chico hätte niemals mit jemandem gearbeitet, der nicht kooperationsfähig
ist.« Pereira legte einen Stoß Papiere auf den Tisch, sodass Nicolas die Wassergläser und Flaschen beiseiteschieben musste.
»Die Fähigkeit zur Zusammenarbeit war bei seinem Hintergrund – ich gehe mal davon aus, dass Sie wissen, was ich meine – eine
Voraussetzung. |104| Sein Führungsstil war hier in der Gegend nicht üblich. Mitarbeiter, die sich dem nicht angepasst haben, blieben nicht lange
dort.«
»Deshalb auch die testamentarische Regelung, dass die Mitarbeiter, im Falle, dass ich nicht . . .«
»
Exactamente
, so ist es – so, hier habe ich Ihr Arbeitspensum für die nächsten Tage.« Damit klopfte er auf die vor ihm liegenden Schriftstücke
und Mappen. »Die Inventarliste der Quinta, Gebäude, Anlagen, Maschinen, Geräte, Fahrzeuge, Fass- und Flaschenweine, sogar
eine Aufstellung der Werkzeuge aus der Werkstatt. Ihr Onkel war genau, es ist alles aktuell, die Aufstellungen wurden erst
zum Jahreswechsel entsprechend der Inventur aktualisiert. Weinverkäufe und Bestände werden monatlich gemeldet. Und hier die
Bilanzen!«
Nicolas wurde schwindlig. Er hatte gedacht, er wäre hergekommen, um Wein zu machen, er sollte Rebstöcke pflanzen – und vor
ihm lag nichts als Papier! Und dann noch in einer unverständlichen Sprache. Wenigstens war der Vertrag auf Deutsch. Friedrich
hatte 30 Jahre Zeit gehabt, das Weingeschäft zu lernen und die Quinta aufzubauen, er selbst wurde ins kalte Wasser geworfen
und musste allein schwimmen.
Sie fuhren zum Notar, und Nicolas unterschrieb. Unter acht verschiedene Dokumente und Abschriften musste er seinen Namen setzen,
den Pass vorlegen sowie die Geburtsurkunde und ihre beglaubigte Übersetzung. Seinen Namen auf die Papiere zu schreiben war
einfach, der sogenannte Federstrich. Was jedoch würde daraus folgen? Worauf hatte er sich eingelassen? Konnte er das überhaupt
bewältigen? Wenn er sich zu viel Gedanken machte, sicherlich nicht. Also rein ins Wasser und los! Das Risiko war glücklicherweise
gering. Er würde sich den Überblick verschaffen, so wie gestern von oben, möglichst wenig anrühren, nichts ändern, die Entscheidungen
den Fachleuten überlassen – |105| nur so ließen sich Fehler vermeiden – und sich mit Friedrichs Leben beschäftigen. Dass er sich spätestens ab Oktober in Berlin
nach einem Job umsehen musste, war nicht einmal schlecht, so kam er wenigstens wieder in Bewegung. Happe folgte einer ganz
anderen Devise: »Du musst die Welt verändern, um sie zu begreifen . . .« Happe war weit weg, leider.
Pereira brachte Nicolas zum Steuerberater, der nur gebrochen Englisch sprach, was Nicolas drastisch vor Augen führte, wie
dringend er der portugiesischen Sprache bedurfte. Sie würden ihn erst ernst nehmen, wenn er ihre Sprache beherrschte. An einen
Intensivkurs war in dem 10 000-Seelen-Städtchen Régua nicht zu denken. Er musste baldmöglichst die Anzeige aufgeben, den Text
sollte er auf Deutsch verfassen. Oder war es besser, von jemandem die Sprache zu lernen, der kein Deutsch verstand? Es wäre
schwieriger, dafür würde es schneller gehen. Pereira war derselben Ansicht.
Nach dem Mittagessen, zu dem ihn der Anwalt eingeladen hatte, fuhren sie zum Tribunal da Justiça, wo Pereira sich von einem
befreundeten Richter eine Verfügung holte, die Nicolas uneingeschränkten Zugang zu allen Einrichtungen der Quinta gewährte.
»Dem Schriftstück kann er sich nicht verweigern«, erklärte Pereira, als sie auf dem Weg dorthin waren. »Ich verstehe Gonçalves
nicht. Er hat nicht begriffen, wer Sie waren und weshalb Sie gekommen sind. Oder er ist der Verantwortung nicht
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