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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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erneut, fragte Passanten, fragte einen Mann, der in seinem Garten arbeitete,
     fragte in einem Supermercado – nur um schließlich vor einem Haus zu stehen, das genauso verrammelt war wie das von Dona Madalena.
     Hatten alle für ihn wichtigen Personen nach dem Tod seines Onkels die Quinta verlassen wie ein sinkendes Schiff? Noch konnte
     er es sich überlegen – wirtschaftlich sollte sie bestens dastehen, Pereira wollte ihm die Bilanzen der letzten Jahre zeigen
     – Teufel, womit man sich beschäftigen musste.
    Er hielt erneut am Supermercado, eigentlich mehr einem gut sortierten Tante-Emma-Laden. Verkäuferin und Kunden gaben sich
     alle Mühe, ihn zu verstehen und ihm etwas zu erklären. Vom Gesagten begriff er zumindest, dass Otelo verreist war, und immer
     wieder hörte er
Lisboa
. War er mit Madalena Barbalho zusammen gefahren?
    |99| Im Supermercado gab es Hundefutter, ein Öffner befand sich an Nicolas’ Taschenmesser. Er probierte einen Strohhut, fand sich
     albern damit, aber er spürte, dass die Haut auf der Stirn spannte. Eine Kopfbedeckung war nötig, nur leider hatten sie kein
     Basecap, also nahm er den Hut und eine Tube Sonnencreme. Mit einem Fuß auf der Bremse ließ er sich die Landstraße zum Fluss
     hinabrollen. Es herrschte wenig Verkehr, und er versuchte sich vorzustellen, wie er sich in dieser Weltabgeschiedenheit fühlen
     würde, ohne Klubs, Kneipen, Kino und Theater, ohne die Freunde am Wochenende, ohne Sylvia, hier, wo er für die Menschen ringsum,
     die sich alle kannten, ein Fremder war. Portugiesen sprachen viel miteinander, wie er sah, und sie belauerten und kontrollierten
     sich, wie in jedem Dorf, wie in jeder Kleinstadt. Jemand wie er, Erbe des Weingutes, würde die Aufmerksamkeit, die Neugier
     und den Neid der Nachbarschaft (und auch der anderen Weingüter) auf sich ziehen. Ob sie Deutsche mochten, wusste er nicht.
     Er sollte Pereira fragen. Außerdem musste er sich nach seiner Zusage Gedanken darüber machen, wie er möglichst rasch die Sprache
     lernte. In Peso da Régua würde es kaum eine Sprachschule geben. Das konnte er morgen klären. Er nahm sich vor, im Lokalblatt
     per Anzeige nach einer Lehrerin zu suchen – oder waren das Hirngespinste, der Tagtraum eines Stadtflüchtigen? Noch hatte er
     nicht unterschrieben. Pereira selbst hatte die Möglichkeit offengelassen, bis morgen früh um acht eine verbindliche Zusage
     zu geben beziehungsweise sie zurückzunehmen.
    Er holte Zeichenblock und Stifte aus der Pension in Pinhão, nahm ein Handtuch mit und fuhr zurück zur Quinta. Er konnte nur
     hoffen, auf der Schlaglochstrecke den Berg hinauf nicht dem unangenehmen Verwalter zu begegnen.
    Für ein Bad war es zu kühl und windig, er nahm seinen Platz auf der Terrassenmauer ein und bedauerte, kein |100| Fernglas zu besitzen, denn unten fuhr ein Lieferwagen auf dem Hof, und einige Kisten mit Wein wurden eingeladen. Er hätte
     zu gern gewusst, ob das korrekt ablief. Weshalb hätte der Verwalter ihn sonst rausgeschmissen? Zumindest wusste er jetzt,
     wo das Flaschenlager war – gegenüber der großen Halle. Er griff zum Zeichenblock. Mit wenigen Strichen skizzierte er die Quinta
     mit ihren Nebengebäuden und notierte die Funktion der Gebäude, soweit sie sich ihm erschloss. Doch auf Dauer war es mühsam,
     immer wieder aufzustehen und sich auf die Mauer zu stellen, um über die Weinstöcke nach unten schauen zu können. Außerdem
     interessierte ihn die Gesamtansicht der Landschaft mehr, und er fragte sich, was für eine Bewandtnis es hatte, dass die Rebzeilen
     manchmal dem Verlauf der Berge auf gleicher Höhe folgten, mal gab es Terrassen mit zwei oder drei Reihen, und sich dann wieder
     von unten nach oben am Hang hinaufzogen. Nicolas quälte sich, die Logik darin zu erkennen. Er vermutete, dass es wegen des
     Gefälles war. An den besonders steilen, teils felsigen Abhängen wuchs Buschwerk. Wo es weniger steil war, begannen die Terrassen,
     je flacher es wurde, desto mehr Rebzeilen befanden sich darauf, und an den kaum geneigten Hängen führten die Rebzeilen geradewegs
     nach oben. Das alles hatte sicher eine Funktion, einen Grund, war irgendwann erfunden, erprobt und im Laufe der Zeit weiterentwickelt
     worden.
    Nicolas zeichnete Weinstöcke, knorrig verdrehte, glatte und gerade, Rebzeilen und Blätter. Die verschiedenen Formen faszinierten
     ihn. Mal waren die Unterseiten glatt, mal fühlte er winzige Härchen darauf oder sogar Haken. Von oben betrachtet waren die
    

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