Der Portwein-Erbe
nach dem Auftritt des
Verwalters.
Er holte die Mappe mit Pereiras Unterlagen vom Rücksitz, setzte sich auf die Mauer der Terrasse, rief den Anwalt an und schilderte
ihm das Vorgefallene. Er schloss damit, dass Madalena Barbalho nach Lissabon gereist sei.
|94| Pereira hörte sich alles kommentarlos an.
»Momentan ist Gonçalves im Recht«, erklärte er dann, »was sein Benehmen keineswegs entschuldigt oder verständlich macht. Auch
Ihr Onkel war mit ihm unzufrieden, soweit ich weiß; er war eine Notlösung, ein Übergang, nachdem der vorherige Verwalter pensioniert
worden war. Ich nehme mir den Mann vor«, sagte er nach einer Denkpause. »So geht es nicht, Sie hätten ein Kunde sein können.
Sicher, ich bin Ihrer Meinung, der Mann ist überfordert. Er hat nicht begriffen, wen er vor sich hatte. Es wird ernst, Nicolau.
Ich darf Sie doch Nicolau nennen? Es kommt ausschließlich auf Sie an. Sie müssen wissen, was Sie wollen. Sie haben kein Recht,
die Quinta zu betreten, solange Sie nicht die Erbschaft antreten. Noch besitzt er das Hausrecht. Wenn Sie sich dazu durchringen,
den Vertrag zu unterschreiben, von dem Ihnen eine Abschrift vorliegt, hat er Ihnen die Quinta zu übergeben. Sie können ihn
entlassen, was ich an Ihrer Stelle nicht tun würde, vorerst jedenfalls. Mir zeigt dieser Vorfall, dass die Mitarbeiter nichts
von der Regelung Ihres Onkels wissen, denn in dem Fall wäre das Verhalten eine dumme Provokation gewesen. Also – unterschreiben
Sie?«
Pereira bot sich an, mit allen nötigen Dokumenten am nächsten Tag nach Peso da Régua zu kommen, um sie von einem dortigen
Notar beglaubigen zu lassen. Später müsse Nicolas ihn zum Portweininstitut begleiten und sich als Betreiber der Quinta registrieren
lassen.
Pereira fragte Nicolas, wo er wohnen würde, worauf Nicolas die Pension in Pinhão nannte. Er habe gut geschlafen, das Essen
unten im Restaurant sei einfach und gut, der Wein auch, bestechend sei natürlich die Nähe zum Fluss und das Geschehen auf
dem niedlichen Bahnhof. Es habe etwas sehr Beruhigendes, die Zeit zwischen den drei Zügen, die täglich stromaufwärts und stromabwärts
fuhren, verstreichen zu sehen. Er habe vom Bett aus beobachtet, wie |95| sich am Morgen die ersten Reisenden am Bahnsteig begrüßt hatten ...
Pereira unterbrach ihn: »In zwei oder drei Tagen wohnen Sie auf der Quinta. Wir treffen uns morgen um neun Uhr im Hotel von
Régua, es ist das größte und hässlichste am Ort, ein weinroter Betonklotz. Der Bau ist sicher nur durch Bestechung der Stadtverwaltung
möglich geworden, aber bei Ihrem familiären Hintergrund kennen Sie sich mit derartigen Praktiken sicher besser aus.«
Nicolas wollte widersprechen, Bestechung war die Domäne seines Vaters, und gerade deshalb hatte er Frankfurt verlassen. Aber
man musste sich nicht immer rechtfertigen.
»Wie es bei uns funktioniert, wie man mit Behörden umgeht, werde ich Ihnen erklären. Dann besorgen wir uns eine Verfügung,
die uns Zutritt zur Quinta gewährt. Wenn Gonçalves sich querstellt, müssen wir möglicherweise eine Amtsperson einschalten,
aber das wäre unportugiesisch. Ich finde einen eleganteren Weg, ohne weiteren Ärger. Also – morgen früh, neun Uhr – noch können
Sie es sich überlegen. Gehen Sie heute Abend ins ›Vintage House‹, Sie werden das Hotel gesehen haben, es ist auf 100 Kilometer
im Umkreis das beste. Sie haben eine riesige Auswahl an hervorragenden Tischweinen und Portweinen, setzen Sie sich in den
Garten und überdenken Sie alles. Aber rufen Sie mich bitte vor acht Uhr an, falls ich mir die Fahrt nach Peso da Régua sparen
kann. Wir müssen übrigens nach Tabuaço, das ist die für Sie zuständige Gemeindeverwaltung. Also ... ich nehme es Ihnen nicht
übel, falls Sie es sich noch anders überlegen. Es ist eine weitreichende Entscheidung.«
»Den
provador
, diesen Senhor Otelo, habe ich nicht getroffen«, sagte Nicolas. »Nur die Köchin, aber die hat sich rausgehalten. Hat Senhor
Otelo nichts zu sagen? Er war immerhin Friedrichs Kompagnon . . .«
|96| »Er wird bald kommen, auf der Quinta passiert nichts, was er nicht wüsste.«
»Ich habe bei ihm angerufen, er meldet sich nicht.«
»Fahren Sie zu ihm nach Hause, suchen Sie ihn persönlich auf, er empfängt Sie garantiert, er wohnt nicht weit weg, in Tabuaço,
einem Städtchen in der Nähe.« Pereira diktierte Nicolas die Adresse.
Ohne den Anwalt wäre er aufgeschmissen. Und erst als
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