Der Portwein-Erbe
auch die
Plastiktüte mit den Dokumenten sein, die Bilanzen und die Inventarliste von Pereira. Alles war in einer roten Mappe gewesen.
Hatte die nicht oben auf dem Stapel gelegen? Hier hat jemand herumgewühlt, dachte er verärgert. Oder ist mir das alles beim
Fahren durcheinandergerutscht?
Er nahm die Tüte mit den Dokumenten, musste sie jedoch wieder abstellen, um mit der linken Hand den Autoschlüssel aus der
rechten Hosentasche zu fischen. Seine ungeschickten Versuche, sich mit dem Handicap zu arrangieren, wurden vom Büro aus beobachtet.
Als er den Kopf hob und hinsah, wandte sich der Verwalter ab, als hätte Nicolas ihn bei etwas Verbotenem ertappt. Zwei Mal
fiel ihm der Autoschlüssel herunter, so ungeschickt stellte er |119| sich beim Abschließen an. Der Wagen musste zur Mietwagenfirma zurück, er kostete Geld. Er sollte einen der Mitarbeiter bitten,
es für ihn zu tun, denn mit einem Arm konnte er zwar fahren, aber rechts nicht schalten. Soweit er wusste, gab es in Régua
auch eine Filiale.
Er hatte nicht bemerkt, dass es wieder zu regnen begonnen hatte, und erst als Dona Firmina ihm einen Regenschirm über den
Kopf hielt, wobei die kleine Frau sich ziemlich recken musste, merkte er, wie nass er bereits war. Dabei hatte er keine Kleidung
zum Wechseln, weder Wäsche noch Zahnbürste. Sein Gepäck war in Pinhão. Und doch musste er noch einmal zurück, als sie bereits
in der Haustür waren. Er bedeutete Dona Firmina, den Kofferraum aufzuschließen, und zeigte auf die Dosen mit dem Hundefutter.
»Für Perúss«, sagte er und sah Dona Firmina zum ersten Mal lächeln. Als sie auf das Haus zugingen, trat der Verwalter vom
Bürofenster zurück und zog den Kopf zwischen die Schultern. Er wirkte wütend und gleichzeitig ratlos.
Die Nacht wurde zur Tortur. Wenn Nicolas sich umdrehte, stieß er mit dem Arm irgendwo an. Die Schmerzen hielten ihn wach,
das Mittel von Dr. Veloso half wenig. Es wäre besser gewesen, er wäre ins Krankenhaus gefahren. So war er heilfroh, als die
nicht enden wollende Nacht sich in einem grau verhangenen Morgen auflöste. Der Himmel war bedeckt, es hatte sich erheblich
abgekühlt, der Boden war nass, an den Weinblättern hingen Wassertropfen, und nirgends ein Silberstreif am Horizont. Nicolas
fühlte sich schmutzig, als er Hemd und Hose vom Vortag anziehen musste, und so bat er den Verwalter, ihn erst nach Pinhão
zu fahren, um sein Gepäck zu holen, und dann zum Krankenhaus nach Peso da Régua. Als Gonçalves seine Bitte an Seu Roberto
weitergab, Dona Firminas Ehemann, klang es wie ein Befehl.
|120| Der Verwalter ging ihm stündlich mehr auf den Wecker. Nicolas verabscheute Menschen, die jede Gelegenheit nutzten, um ihre
Position herauszukehren. Er würde ihn trotz Pereiras Anraten nicht ertragen. Aber Gonçalves kannte sich aus. Wenn er selbst
so weit wäre und diesen
provador
aufgetrieben hätte, würde Gonçalves’ Zeit ablaufen. Was sagten die portugiesischen Arbeitsgesetze dazu? Es gab Kündigungsfristen.
Er musste sich den Arbeitsvertrag ansehen, und der war auf Portugiesisch. Teufel auch – mit welcher Scheiße werde ich mich
hier noch rumschlagen müssen, fragte sich Nicolas, als Seu Roberto mit dem Geländewagen vorfuhr und ihm notgedrungen die Tür
offen hielt. Als wollte er ihm zusätzliche Schmerzen zufügen, raste er – wahrscheinlich war er es gewohnt – über die Piste
nach unten zur Landstraße. Nicolas’ Handzeichen, langsamer zu fahren, begriff er nicht, Nicolas musste ihm erst in den Arm
fallen.
Der Pensionswirt und Seu Roberto kannten sich, der Wirt wollte eine Unterhaltung beginnen und stellte Fragen, doch Roberto
blieb wortkarg, bis Nicolas nach oben ging, um seine Habseligkeiten zu holen. Was sie unten besprachen, hätte er sowieso nicht
verstanden. Jetzt machte es wahrscheinlich die Runde, dass er Friedrich Hollmanns Erbe antrat beziehungsweise das von Chico
Alemão. Und sicher wusste bald das ganze Tal des Rio Douro, dass er nicht den geringsten Schimmer vom Weinbau hatte. Grauenhaft,
aber auch völlig egal. Was man nicht wusste, konnte man lernen. Sollen sie mich doch alle gernhaben, dachte Nicolas und reichte
der Chefin des Hauses die Kreditkarte.
Als sie schweigend am Douro zurückfuhren, eine andere Straße gab es nicht, betrachtete Nicolas den im Regen grau und träge
strömenden Fluss. Die Strömung war zwischen zwei Staustufen so gering, dass man durchaus den Eindruck eines
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