Der Portwein-Erbe
auf die rechte Seite drehen, stieß an den Arm und fühlte den
Schmerz, der ihn schneller und radikaler wach machte, als es je ein Wecker gekonnt hätte. Er hatte nicht gewusst, dass Knochen
so wehtun können. Da kam was auf ihn zu, und das war erst der Anfang. Die Tinte unter dem Vertrag war kaum trocken, da durfte
er nicht schon wieder aussteigen. Wie würde er vor Pereira dastehen, und vor allem vor sich selbst? Und sofort fielen ihm
der Verwalter ein, die Sekretärin, die Köchin, ihr Mann. Da waren noch vier Arbeiter im Weinberg, der Kellermeister. Teufel,
worauf hatte er sich eingelassen? War er noch bei Sinnen? Es war ein Traum, nichts als ein Traum. Bei dem Gedanken durchströmte
ihn ein Gefühl unendlicher Erleichterung. Das Zimmer kannte er nicht. Draußen regnete es, was in Portugal unmöglich war, da
schien immer die Sonne. Also war es ein Traum, der Arm war heil. Er hörte das Rauschen des Regens, fühlte die Kühle, den Duft
nasser Erde, den der leichte Wind mitbrachte. Er roch kalte Asche, Holzkohle, Holz. Er wandte den Kopf und sah den Kamin,
daneben einen Stapel Scheite. Hatte er den Kamin bei seinem Rundgang durch das Haus übersehen? Und wieso Hühnerbrühe? Es roch
nach Hühnerbrühe. Er sah die silberne Glocke auf dem Tablett. Sie war über einen Teller gestülpt, um die |117| Suppe warm zu halten. Also war es kein Traum. Aber die Hühnerbrühe war ein Traum, das hauchzart geschnittene Gemüse darin
al dente, Möhre, Sellerie, Porree – genau auf den Punkt. Und eine Karaffe mit Wasser stand daneben.
Als er sich aufsetzte, ängstlich bedacht, den Arm ruhig zu halten, wurde ihm schwindlig. Die Diagnose des Arztes wird richtig
gewesen sein, sagte er sich, eine Gehirnerschütterung – aber so ein Befund war ziemlich vage. Er sollte morgen zum Röntgen
ins Krankenhaus fahren. Bezahlte die Krankenkasse Unfälle im Ausland? Na ja, er bekam seit heute ein recht gutes Gehalt als
Geschäftsführer. Dass er es jetzt für Ärzte ausgeben musste, gefiel ihm nicht. Was war Veloso für ein Arzt? Wenn er operierte,
musste er Chirurg sein. Er würde ihn fragen. Ihn also hatte man nach Friedrichs Tod geholt, und er hatte den Totenschein ausgestellt.
Was für ein grausiger Beruf, wenn die Kunden starben. Wieso sprach er amerikanisches Englisch? Mit den anderen hatte der Doktor
Portugiesisch ohne diesen Akzent gesprochen.
Langsam setzte sich Nicolas auf, stand vorsichtig auf und tastete sich an den Wänden weiter. Das Bad lag im hinteren Teil
des Obergeschosses, er hatte bereits einen kurzen Blick hineingeworfen. Als er sich durch den Flur hangelte, hörte er von
unten die besorgte Stimme von Dona Firmina. Die arme Frau hatte anscheinend ein schreckhaftes Wesen, sie wirkte dauernd verängstigt.
Im Bad setzte er sich auf den Rand der Badewanne, verschnaufte und sah sich um. Das war jetzt sein Badezimmer? Er betrachtete
die alten, runden Armaturen des Waschbeckens und der Badewanne. War er auf eine Zeitreise geraten? Die Wasserhähne und die
Mischbatterien mit dem Kreuzgriff stammten aus der Zeit vor seiner Geburt. Die waren einfach zu bedienen gewesen, da brauchte
man keine Fernsteuerung wie bei modernem Kram. So etwas gab es heutzutage als teuren Nachbau, aber die hier waren alt, |118| abgegriffen und funktionierten. Er trat ans Waschbecken, hob mühsam den Kopf – und sah einem Fremden ins Gesicht. Er war verschwitzt
und müde, seine Augen waren Schlitze. Er zog die Lider zusammen, als würde er geblendet und hätte noch immer Kopfschmerzen.
Er fand einen Kamm, den er bei seinem streichholzlangen Haarschnitt kaum brauchte. Es genügte, mit nassen Händen darüberzustreichen.
Ich lasse mir das Haar wachsen, zumindest so lange, bis ich das hier im Griff habe, dachte er.
Dona Firmina hatte Handtücher hingelegt, und als er durch die Verbindungstür ins Friedrichs Schlafzimmer trat, fand er ein
frisch bezogenes und aufgeschlagenes Bett vor. Einladend sah es aus, auf dem Nachttisch standen Blumen, ansonsten wirkte der
Raum wie seit Langem verlassen. Nichts stand herum, nichts lag auf der Kommode, die offenen Lamellentüren der leeren Schränke
verstärkten den sterilen Eindruck, nur die Blumen dufteten lebendig.
Er tastete sich durch den Flur zurück, sah sich jede Treppenstufe an, bevor er den Fuß daraufsetzte, und trat vors Haus. Er
hatte den Wagen nicht abgeschlossen, auf dem Rücksitz lagen die Weinbücher und Broschüren über Portwein; da musste
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