Der Portwein-Erbe
ausstrahlen, Menschen
zeigen, die ihren Beruf liebten. Man musste überzeugen – und hier überzeugte ihn im Moment nicht viel, außer Hühnersuppe und
Kaffee. Der kam allerdings aus der Maschine, wie er in der Küche gesehen hatte. Was ihn wirklich überzeugte, war der Wein,
so wie er ihn in Erinnerung hatte. »Man darf den zusätzlichen Alkohol im Portwein nicht spüren, er darf nicht spritig sein,
dann ist er nicht gut«, hatte Carlos gesagt. Noch jemand, der ihn mit Sprüchen versorgte. Ob er Friedrichs Port noch richtig
in Erinnerung hatte, nach der umfangreichen Probe mit Carlos? Er sollte sich eine Flasche bringen lassen, oder Dona Firmina
sollte ihm zeigen, wo er ihn finden konnte. Klar, im Weinkeller, aber lag da Friedrichs Wein, oder auch der von anderen Winzern?
Er wollte nachsehen, doch er erschrak bei dem Gedanken an die Kellertreppe. Wer außer ihm besaß einen Schlüssel? Ob es hier
eine Liste für Schlüssel gab? Schon wieder eine Liste. Bilanzen, Inventarliste, Schlüsselliste, Liste der Mitarbeiter, Aufstellungen,
Übersichten – Teufel, sein Vater ging auch den ganzen Tag Listen durch.
|126| Den Anruf bei Sylvia schob er seit Tagen vor sich her. Es war ihm unangenehm, ihr seine Entscheidung mitzuteilen. Sie hatte
ihm klar gesagt, dass sie nicht mitkommen werde. Sie könnte sich die Quinta wenigstens mal ansehen. Die Pfingstferien begannen,
aber sie würde nicht umbuchen, das war ihr Begriff dafür, Pläne oder die Meinung zu ändern. Insgeheim war es ihm ganz lieb.
Er brauchte sich nichts vorzumachen, von ihr hatte er nicht einmal eine SMS erhalten, die sie sonst täglich verschickte. Es
tat ihr nicht weh, dass er gegangen war, es brachte lediglich ihre Pläne durcheinander. Vor einer Trennung fürchtete er sich
weniger als vor der Einsamkeit hier. Er trat auf die Terrasse. Der Regen hatte aufgehört, im Westen riss die Wolkendecke auf,
und durch die ersten Wolkenlöcher fielen die Sonnenstrahlen gebündelt auf die nassen Weinberge und ließen sie leuchten.
Im Grunde hatte er bislang nur solche Beziehungen gehabt wie zu Sylvia – bis auf die Belgierin in Rotterdam. Er erinnerte
sich gern und ungern an sie. Leider hatte sie neben ihm noch auf ihrem belgischen Lover bestanden. Aber dazu fehlte ihm der
Nerv. Eigentlich war er nie so, wie Frauen ihn haben wollten. Alle wollten seinen Hollmann-Teil und für sich ein bequemes
Leben.
Statt in den Keller ging er ins Büro. Sein zukünftiger Schreibtisch stand dem des Verwalters gegenüber, getrennt durch eine
Glasscheibe. Gonçalves war noch nicht nach Hause gefahren, auf seinem Schreibtisch lag Papier in Stapeln, auf Nicolas’ stand
nichts außer einem Telefon. Er nahm den Hörer ab und rief Happe an. Sylvia musste warten, er vertrug jetzt keinen Streit.
Das Gefühl war das Entscheidende, es war die Grundlage, um überhaupt Kompromisse zu finden. Plötzlich fühlte er eine verdammte
Lust auf ein Abenteuer, nicht unbedingt auf Kellertreppen, eher mit einer spannenden Frau. Und er saß hier, am Arsch der Welt
mit gebrochenem Arm.
|127| Happe hörte sich alles an und bestätigte Nicolas in seinem Entschluss. »Was willst du hier? Die Neoliberalen träumen von der
Bundesarbeitsfront, genehmigen sich Militäreinsätze, und wir haben der Wirtschaft zu dienen. Produzier du mal schön deine
Drogen, damit wir das aushalten – schick mir ’ne Kiste, lass dich nicht lumpen. Brauchst du ’nen Fahrer, bei deiner Behinderung?
Wie wär’s mit mir? Aber deine Portugiesen sind sicher billiger. Was hast du geerbt, wie viele Millionen?«
»Ich kriege ein Gehalt, knapp das Doppelte als bisher. Die Wohnung ist umsonst, man kocht für mich, alles aus meinem Gemüsegarten.
Dazu kommen 36 Hektar Weinberge, wie viele Fässer Wein und Portwein es sind, weiß ich noch nicht, und dazu einen gut gefüllten
Weinkeller, aber der ist gefährlich. Ach, einen Raupenschlepper . . .«
»Und wie viele Angestellte?«
Nicolas dachte kurz nach. »Neun oder zehn . . .«
»Du weißt es nicht einmal? Cool, Alter, supercool.«
Nicolas wurde ärgerlich. »Hör mal zu, ich mache das hier nicht aus Spaß. Ich mach das nur, bis ich weiß, was mein Onkel wollte,
von mir – und generell. Ich weiß kaum was über ihn, seinen persönlichen Kram habe ich noch gar nicht gesichtet.«
»Und seine Frau?«
»Die ist geflüchtet. Außerdem werfen sie mit Steinen nach Friedrichs Hund, und das gefällt mir nicht. Wenn ich hier
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