Der Portwein-Erbe
einen Arzt Ihres Vertrauens oder einen Fremden, auch wenn er Spezialist ist?« Veloso versicherte
noch einmal, dass er vorbeischauen werde, Nicolas könne ihn bei Komplikationen jederzeit anrufen, und er wünschte ihm mehr
Glück als bisher.
Als sie wieder auf der Quinta eingetroffen waren, zeigte Seu Roberto unverhohlen seine üble Laune. Er hatte kaum ein Wort
gesprochen, nur war er einigermaßen gesittet gefahren, und das genügte Nicolas. Er legte sich im Salon aufs Sofa, wo er sofort
einschlief. Die Anspannung, die Schmerzen und die Tabletten machten ihn schläfrig.
Später war es der Duft von Kaffee, der ihn wach werden ließ, und er wusste, wer ihn gebracht hatte. So abweisend, wie ihr
Mann war, so freundlich verhielt sich Dona Firmina. Leise schloss sie die Tür hinter sich. Und erst jetzt, als der Kaffee
ihn belebte und die Spannung von ihm abgefallen war, hatte er wieder Augen für seine neue Umgebung. Der Raum, in dem er lag,
Friedrichs Salon, war groß und hell. Die Bewegungsfreiheit wurde nicht von Möbeln eingeschränkt, und von der Couch aus hatte
Nicolas über die Terrasse hinweg einen grandiosen Blick auf die Berge jenseits des Tales. Alt und Neu waren auf harmonische
Weise kombiniert, glatte Wände und die raue Struktur der Bruchsteine, dunkel gebeiztes Holz teilte die weißen Wände und gliederte
die Flächen. Friedrich musste ein Anhänger des Goldenen Schnitts gewesen sein. Worauf er sich in seinem Studium konzentriert
hatte, wusste Nicolas nicht, vielleicht fand er in der Bibliothek Hinweise. Friedrich war offensichtlich einer anderen inneren
Konzeption gefolgt als sein mathematisch ausgerichteter Bruder.
|124| Die Öffnung des Kamins bildete eine Flucht mit der Wand, es gab nur eine schmale Konsole darüber. Genügend Zug hatte er bestimmt,
denn es fehlten Rauchspuren über der Öffnung. Nicolas schloss die Flügeltür auf, er gelangte in das Esszimmer, das er vom
ersten Rundgang in Erinnerung hatte. Der Schlüssel steckte, er brauchte ihn nicht an seinem Bund zu suchen. Schlüsselgewalt
– er hatte nie welche gehabt, außer die zu seinen spartanisch möblierten Wohnungen, wo ihm das Zeichenbrett stets wichtiger
gewesen war als ein bequemer Sessel. Diese Tür würde er offen lassen, weil beide Räume zusammen an Weite gewannen, besonders
da sich der Blick nach draußen über die Terrasse fortsetzte. Die Steinplatten waren so gelegt, dass sie diese Perspektive
fortsetzten. Friedrich hatte sich seinen eigenen Ausblick geschaffen. Aber hier war schon jemand vor ihm gewesen, 200 Jahre
vor Friedrich.
Und wie stand er selbst dazu? Hatte er das Etikett der Originalität nötig? Er wollte etwas für sich, aber das bedeutete nicht,
der Erste sein zu müssen. Happe war Experte für Leitsprüche und Parolen. Segele dein eigenes Rennen, war einer davon, und
er hatte Nicolas gefallen, klang gut. Ging es einem ums Segeln, oder ging es um den Sieg? Wie langweilig, wenn man erkannte,
dass man letztlich nur um sich selbst kreiste oder eierte, um die eigenen Wünsche. Das, was man meinte für andere zu tun,
tat man für sich.
Zu viel Denken macht krank, war auch einer dieser Sprüche. Nicolas hätte Happe gern dabei gehabt, und er erinnerte sich an
ihre Wohngemeinschaft während des Studiums. Mit Happe würde das hier allerdings zum Event, den sie mehr oder weniger distanziert
kommentieren würden, statt ihn zu leben.
Es gab Häuser auf dem Lande, in denen man sich wie durch eine Zeitschrift für Country Homes bewegte. Aber hier war alles anders,
unten wurde gearbeitet, oben sollte gelebt werden, doch diese Etage wirkte wie vor Jahren |125| aufgegeben. Vieles schien unmodern, doch es war gut. Modern war es in Portugal offenbar, eckig zu bauen. Die Cafés in Porto
am Rio Douro waren eckig, Metallrahmen, eingesteckte Platten. Unten am Flussufer war er an einem Restaurant vorbeigefahren,
es war lang und eckig wie ein Schuhkarton, ein verglaster Container, gnadenlos. Ein Anachronismus zu dieser barock anmutenden
Landschaft. Nicolas konnte sich vorstellen, wer in jenem Restaurant verkehrte. Es war genau für diese Leute gebaut, die das
Darlehen dafür genehmigten. Man ließ sich dort sehen. Frankfurt war überall.
Auf der Terrasse standen Töpfe mit blauem Hibiskus und rosa Oleander. Sie hatten nicht genügend Kraft, die Fläche zu beleben,
die Pflanzen wirkten leblos, wie nach dem Winter noch nicht ausgepackt. Ein Weingut musste Lebendigkeit
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