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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Gemüse- und Kräutergarten war bestens gepflegt.
    Zur Barbe, die Dona Firmina bereits filetiert hatte, bekam er ein Glas Vinho Verde von der Quinta de Azevedo vorgesetzt, den
     er als sehr schön frisch und durstlöschend empfand, sodass er ein zweites Glas verlangte, was ihm Dona Firmina wegen der Schmerztabletten,
     die er noch immer einnahm, nur ungern einschenkte. Käse schloss wie üblich die Mahlzeit ab. Was Nicolas vorgesetzt bekam,
     war größer als ein Camembert und doppelt so hoch. Oben war ein Loch in die dicke gelbe Haut geschnitten, darin steckte ein
     Teelöffel. Dazu gab es geröstetes Weißbrot. Es war ein Queijo de Azeitão, wie er erfuhr, innen flüssig wie eine dicke Creme,
     sehr frisch und würzig, und dazu ein Portwein, eine grandiose Mischung.
    Nicolas stand jetzt der Sinn nach Kaffee, nach einer ganzen Kanne, denn am liebsten hätte er sich sofort hingelegt. Den Tag
     über hatte er bei Büroarbeit gegen Müdigkeit und Lethargie ankämpfen müssen. Es wäre falsch, jetzt noch einen Portwein zu
     trinken, da er sich in Friedrichs Bibliothek umsehen wollte. Der Schlüssel am Bund trug einen roten Punkt, Pereira hatte ihn
     darauf hingewiesen: »Von diesem hier existiert nur ein Einziger.«
    |145| Sollte er nicht besser erst mit Sylvia telefonieren? Je länger er den Anruf hinausschob, desto komplizierter würde das Gespräch.
    Sylvia war die Freundlichkeit in Person, geradezu unheimlich besorgt und einfühlsam, was seinen Armbruch betraf und die Schwierigkeiten,
     die er hier vorfand. Kein Vorwurf, dass er gegen ihren Wunsch abgereist war, nur Freude, dass er sich meldete.
    »Und – hättest du auf deiner Quinta Platz für mich?«, fragte sie, als alles erzählt war, was man den anderen wissen lassen
     wollte. »Ich könnte frühestens in den Sommerferien, Mitte Juli.«
    »Früher nicht? Mal ein Wochenende?«
    »Du weißt ja, ich habe immer viel zu tun . . .«
    »Hier ist jede Menge Platz«, antwortete er und spürte, wie sich etwas in ihm dagegen sträubte. Wenn sie käme, gäbe es noch
     mehr, worum er sich kümmern müsste.
    »Und – hast du schon eine Idee, wie du dich entscheiden wirst?«
    »Ja. Ich erinnere mich an einen Satz, ich glaube, er ist von Karl Kraus: Das einzig Fremde in der Fremde ist der Fremde. So
     ungefähr fühle ich mich.«
    »Dann ist ja alles klar«, sagte sie befriedigt und versprach, ihn anzurufen. »Wann man dich hier wieder zurückerwarten darf,
     steht noch nicht fest?«
    Diese Frage hatte Nicolas verneint. Er stand wie benebelt auf der Terrasse und sah ins Tal. Mit seinem Leben hier hatte in
     Berlin oder Frankfurt niemand etwas zu schaffen. Er kam sich vor wie weggeweht, ein Blatt im Herbst, das draußen am Café vorbeiflog,
     während man drinnen die Wärme und eine heiße Schokolade genoss.
    Er wehrte sich gegen ein Gefühl von Einsamkeit, von unten drangen Stimmen durchs Treppenhaus. Dona Firmina und ihr Mann unterhielten
     sich, Geschirr klapperte, der  |146| Fernseher plärrte dazwischen. War es in Berlin anders gewesen? Ja. Er hatte keine Aufgabe gehabt.
    Jetzt erst nahm er den alten Hi-Fi-Turm an der Wand richtig wahr. Er bestand aus Kassettendeck, Radio, Plattenspieler, CD-Spieler
     und einem Verstärker, daneben standen große altmodische Boxen. Dann musste es Schallplatten und CDs geben. Wenn sie nicht
     im Salon waren, wo dann? In der Bibliothek? Als er die unauffällige Tür zwischen Sofa und Kamin aufschloss, sah er in Gesichtshöhe
     die gerahmte Reproduktion eines Gemäldes. Er kannte das Bild, Stillleben mit Bibel, van Gogh hatte es gemalt. Es gab so vieles
     hier, das er erst mit der Zeit bemerkte. Seine Aufmerksamkeit war von anderen Dingen beziehungsweise Menschen gefangen, dass
     er die von Friedrich hinterlassenen Spielereien und wohl auch Andeutungen erst nach und nach wahrnahm. Rechts auf dem Bild,
     neben der großen aufgeschlagenen Bibel, stand ein Kerzenständer mit einer erloschenen Kerze, quer davor lag ein zerfleddertes,
     an die hundert Mal gelesenes Büchlein. Der Titel war unlesbar klein, aber im Van-Gogh-Museum in Amsterdam hatte Nicolas ihn
     auf dem Original gelesen: ›La joie de vivre‹, ›Die Freude am Leben‹ von Emile Zola. Das Bild hatte etwas geradezu Beschwörendes
     und Transzendentes, und Nicolas lächelte, er fühlte sich Friedrich in diesem Moment sehr nah. Dann öffnete er die Tür.
    Der verdunkelte, leicht mutige Raum mochte vier mal fünf Meter groß sein. Regale standen in Reihen nebeneinander und waren
    

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