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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Eindruck.
    Immer wieder fand Nicolas Hinweise auf das Mikroklima, das viele Regeln außer Kraft setzte, denn an einem Flussufer regnete
     es, wie er gestern gesehen hatte, am anderen war es trocken geblieben. Über einem Berg hatte sich ein Gewitter entladen, die
     Regenfahnen hatten jegliche Sicht genommen. 200 Meter weiter war nicht ein Tropfen gefallen. Ein Wunder, dass dieser Boden
     überhaupt Wasser aufnehmen konnte, denn vom Regen war nirgends mehr etwas zu sehen. Hatte Pereira ihn nicht darauf hingewiesen,
     dass Regen jetzt im Mai besonders schädlich für die Blüten sei? Nicolas schüttelte den Kopf und holte das Lexikon aus dem
     Regal. Unter »Blüte« fand er die gewünschte Information. Regen ließ die sich selbst bestäubenden Blüten verrieseln, also absterben.
     Wenn er das alles, was er hier auf Deutsch und Englisch las, noch auf Portugiesisch verstehen und sich merken könnte, dann
     ... ja, was dann? Er klappte das Lexikon zu.
    Er sollte sich um die Firma kümmern, sich die Personalakten ansehen. Von den Arbeitern hatte er bislang nicht einen zu Gesicht
     bekommen, und einer sollte Deutsch |152| sprechen. Vielleicht könnte der ihm als Assistent behilflich sein. Aber ihm Einblick in die Personalakten zu gewähren, ginge
     das nicht zu weit? ... Als Nicolas aufwachte, fiel ihm das Lexikon vom Schoß. Draußen war es stockdunkel, nur auf dem gegenüberliegenden
     Berg sah er Lichter.
    Er sah die Reflexe des Mondlichts auf dem Ausschnitt des Flusses, der ihm vergönnt war. Das dritte Ufer kann nur ein fiktives
     sein, eines in uns. Wir selbst sind das dritte Ufer; dahin müssen wir gelangen, um uns zu retten, dachte er und ging zu Bett.
     
    Die ersten beiden Stunden des nächsten Tages verbrachte Nicolas mit Fahrübungen. Es hatte eine Viertelstunde gedauert, bis
     er dem Verwalter klargemacht hatte, dass er von jetzt an Schlüssel und Wagenpapiere behalten würde. Er musste mobil bleiben,
     er durfte hier nicht versauern. Nur der Automatik wegen ließ sich der Wagen von ihm bedienen, trotzdem war das Rangieren schwierig,
     besonders wenn er über die rechte Schulter zurückschauen musste. Er steckte einen Stock in den Boden und setzte zurück, bis
     der Stock sich bewegte. Vorn machte er es genauso und lernte dadurch die Abmessungen des Fahrzeugs kennen. Die Piste hinunter
     zur Landstraße nahm er im Schritttempo. Sollte die Kiste abrutschen, gäbe es kein Halten mehr. Er hatte nie zuvor einen derart
     schweren Wagen gefahren.
    Das kurze Gespräch mit Pereira führte er von seinem Mobiltelefon aus, da konnte niemand mithören. Sein eigenes Misstrauen
     widerte ihn an, derartigen Situationen hatte er stets aus dem Wege gehen können, aber hier sah er keinen anderen Weg. Der
     Anwalt kündigte sein Kommen für die nächste Woche an. Danach müsse Nicolas allein zurechtkommen.
    Anschließend rief er Lourdes zu sich und ließ sich von ihr zeigen, wo er welche Firmenunterlagen finden konnte. |153| Er schlug den aktuellen Rechnungsordner auf und sah sie vielsagend an. Zum ersten Mal bemerkte er, dass sie ein hübsches Mädchen
     war, mit einem offenen Gesicht und großen schwarzen Augen, bei denen er schlecht sagen konnte, ob sie frech waren oder ob
     sich darin ihre Unsicherheit verbarg. Aber sie war interessiert. Nicolas blätterte in den Ordnern, betrachtete Rechnungen,
     nickte mehrmals, als hätte er eine Bestätigung für irgendetwas gefunden, seufzte und klappte ihn zu. In Lourdes’ Gesicht nahmen
     die Fragen überhand. Dann verlangte er die Personalakten. Lourdes holte sie aus dem Büro des Verwalters, der jede ihrer Bewegungen
     mit Argwohn verfolgte und zunehmend unruhig wurde. Nicolas fand die Akte über Lourdes und steuerte sofort auf sein Ziel zu.
Contrato
musste Vertrag bedeuten, und darin war bei
salário
, was wohl Gehalt hieß, eine elend niedrige Zahl angegeben. Portugal war nicht umsonst das Armenhaus Europas. Die Arbeiter
     in der Lese bekamen gerade mal 500 Euro im Monat. Es musste schwer sein, damit auszukommen.
    »Sie verdienen monatlich 750 Euro?«, fragte Nicolas.
    Lourdes nickte, und bevor sie antworten konnte, sagte Nicolas: »Ab morgen verdienen Sie 100 Euro mehr!«
    Ihr fiel das Kinn runter, sie hatte offenbar mit allem gerechnet, nur nicht mit einer Gehaltserhöhung. Nicolas legte den Finger
     auf die Lippen. Sie nickte, sie hatte verstanden – und damit hatte er seine erste Verbündete. Bei ihr war es einfach, die
     anderen würden schwerer zu gewinnen sein.
    Ein

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