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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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ab, ging zum Kühlschrank, nahm den Rest Rotwein vom Vortag, zog den Vakuumverschluss ab und
     reichte Nicolas die Flasche zusammen mit einem Glas. Also hatte sie ihn verstanden. Dann stutzte sie, drehte sich wieder nach
     ihm um und blickte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Er lächelte, bedankte sich mit einem »
Obrigado, Senhora
« und verschwand. Wahrscheinlich fragten sie und ihr Mann sich jetzt, ob er ihnen bislang etwas vorgespielt hatte und in Wahrheit
     längst Portugiesisch verstand. Wenn er sie verunsichert hatte, war sein Ziel erreicht.
    Er setzte sich wieder an den Esszimmertisch und begann, sich ein zweisprachiges Wein-Glossar anzulegen. Bereits übersetzte
     Begriffe gab er ins Laptop ein. Hier würde er nach und nach alle Begriffe sammeln, die mit Wein zu tun hatten. Ihm graute
     nicht vor der Arbeit. Er hatte Englisch gelernt, dann Französisch, Latein und zuletzt ein wenig Holländisch, dann war jetzt
     eben Portugiesisch dran. Europa war vielsprachig. Es sollte hilfreich sein, Zettel mit den portugiesischen Namen auf alle
     ihn umgebenden Gegenstände zu heften. Sicher, es sah albern aus, wenn in seiner Etage Zettel an Türrahmen, dem Spiegel im
     Bad, dem Bettgestell und dem Gläserschrank klebten. Egal, es war seine Wohnung, er konnte darin machen, was er wollte, es
     würde höchstens ihn selbst stören. Er musste verstehen, was über die Quinta gesagt wurde, über Geschäfte und über Friedrich,  |158| was er gesagt und gedacht hatte, auch wenn es private Meinungen waren. In ihrer Fülle, verbrämt durch persönliche Interessen,
     lag die Annäherung an die Wahrheit.
    Irgendwann in der Nacht fielen ihm die Augen zu, er schrak auf, als sein Kopf vornüberkippte. Von unten drang kein Laut herauf,
     von draußen kam das Rauschen des Windes in den Bäumen. Nicolas leerte sein Weinglas und trat auf die Terrasse. Der Sternenhimmel
     war gigantisch, zum Greifen nah, beinahe unheimlich und gefährlich. Er konnte sich nicht erinnern, wann zuletzt er die Sterne
     so eindrucksvoll erlebt hatte. Es fehlte jedes Nebenlicht, jede störende Straßenlaterne, da war kein flimmernder Fernsehapparat
     gegenüber, keine Straßenbeleuchtung. Trotzdem konnte er den Horizont erkennen, sah den Fluss, einzelne Weiler an den Berghängen.
     Peso da Régua strahlte von unten eine einsame Wolke an, und er sah einen sich bewegenden Schatten. Das war Perúss. Er ging
     hinunter, öffnete die Tür. Der Hund kam gegen seine sonstige Gewohnheit ohne zu zögern herbei, lief an Nicolas vorbei ins
     Haus und blieb vor der Küchentür stehen. Er wedelte nicht mit dem Schwanz, so weit war der Frieden zwischen ihm und den Menschen
     noch nicht wiederhergestellt. Während Nicolas Hundefutter holte, blieb der Hund vor der Küchentür stehen. Er fraß und trank
     gierig wie immer und setzte sich zwei Meter von Nicolas entfernt. Mochte er ihm auch noch so schmeicheln, Perúss blieb auf
     Distanz, trottete dann zu einem der Bäume gegenüber und legte sich hin. Nicolas zuckte mit den Achseln und ging schlafen.
     
    Auf dem Küchentisch stand am Morgen kein zweites Gedeck mehr, als Nicolas gegen sieben Uhr zum Frühstück kam. Dona Firmina
     wusste, was er bevorzugte, und er nahm an, dass sie genau darauf achtete, wovon und wie viel er gegessen hatte. Daraus bezog
     sie ihre Anerkennung. Würde Nicolas sie für sich gewinnen wollen, würde er dicker werden.  |159| Rührei und geschmorte Tomaten gehörten nicht zu einem konventionellen portugiesischen Frühstück – vielleicht hatte Friedrich
     es geschätzt? Jetzt probierte sie es bei ihm aus. Nicolas verschmähte es auch nicht. Ihn störte etwas anderes. Wenn er die
     Küche betrat, ging sie hinaus, das zeigte ihm seinen Status. Wo setzten sich die Angestellten ungefragt zum Chef? Wenn er
     sich zu Hause das Frühstück auf die Schnelle reingezogen hatte, war ihm das Alleinsein nicht aufgefallen. Manchmal war Sylvia
     bei ihm gewesen. Doch sie war in aller Frühe verschwunden, die Schule begann um acht Uhr, und er hatte das Radio eingeschaltet
     und nach Sendern ohne unerträgliches Gute-Laune-Gequatsche gesucht.
    Im Haus herrschte Ruhe, leider zu viel davon. Sie war hörbar, heute vernahm er zum ersten Mal das Ticken der Standuhr im Flur,
     was ihm bislang entgangen war. Keine Stimmen, keine Musik, keine Autogeräusche, es war, als würde er allein hier leben, und
     doch waren die anderen in ihrer Abwesenheit gegenwärtiger als anderswo. Würde das an den Wochenenden immer so

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