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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Temperatur verlief die Fotosynthese ideal. Was verstand man unter Assimilation?
     Es war der Ausdruck für die Umwandlung aufgenommener Nährstoffe in Pflanzensubstanz. Auch dafür gab es förderliche und hinderliche
     Bedingungen. Langsam bekam Nicolas eine Ahnung von dem, was auf den Bergen um ihn herum geschah, erfreut begann er, die Zusammenhänge
     zu verstehen. Für einen Augenblick fühlte er sich dem, was auf ihn zukam, gewachsen. Er musste nur schneller lernen. Wenn
     sie allerdings die Bücher verschwinden ließen, wäre er aufgeschmissen.
    Unter Gonçalves’ argwöhnischen Blicken und den neugierigen von Lourdes suchte er im Büro nach Lexika, Broschüren und Nachschlagewerken
     zum Thema Wein, nahm so viele wie möglich unter den gesunden Arm und brachte sie, ohne sich um Gonçalves zu kümmern, in die
     Bibliothek. Es waren nicht viele Bände, die deutschsprachigen Werke befanden sich sowieso hier. Er würde das Schloss auswechseln
     lassen. Es war immerhin möglich, dass jemand doch Schlüssel für die Bibliothek und die anderen Räume besaß. Er sollte alle
     Schlösser auswechseln lassen. Er würde sich nicht wieder vorführen lassen. Jemand hatte die Fässer mit billigem Port aufgefüllt.
     Und er würde verfügen, dass nicht eine Lieferung den Hof ohne Lieferschein und Rechnung verließ,
sem guia e factura
.
    Nicolas glaubte, dass alle ihm gegenüber derart feindlich |185| eingestellt waren, weil sie von der Testamentsregelung wussten und ihn zum Aufgeben zwingen wollten. Aber Pereira hatte gesagt,
     dass sie ... Hatte es ihn zu interessieren, was Pereira sagte?
     
    Zwei Tage später verblüffte Nicolas den Kellermeister und seinen Gehilfen mit einem neuen Einfall. Er ahnte, dass sie umso
     heftiger reagieren würden, je weiter er sich in ihre Arbeit einmischen würde. Mit Laptop und mehreren Gläsern bewaffnet, erschien
     er morgens noch vor dem Kellermeister im Fasslager und rückte einen wackligen Tisch und einen Hocker in die Mitte des Gangs
     vor den Fässern. Er hatte nach den vorhandenen Unterlagen ein Verkostungsschema nach Name, Jahrgang, Rebsorten, Farbe, Duft
     und Geschmack entwickelt. Es war nicht zu differenziert, damit er sich nicht zwischen Geschmäckern und Fachausdrücken verirrte.
    Als er die Reihe der
pipas
und der großen, lackierten Holzfässer vor sich sah, dazu die vielen Barriques, kamen ihm erhebliche Zweifel. Hatte er sich
     zu viel vorgenommen? Aber irgendwie musste er angefangen, es käme auf einen Versuch an.
    Und dann hatte er ein Aromenrad gefunden, vielleicht war es in seinem Falle nützlich. Es unterteilte den Geschmack in Kategorien
     wie pflanzlich und fruchtig, wärmegeprägt und gewürzbetont. Und innerhalb der Kategorien gab es wieder eine Unterteilung;
     »erdig« zum Beispiel war unterteilt in süßlich, kräftig und Kräuter. Bei »fruchtig« unterschied man nach Zitrus, tropisch,
     Beeren und Trockenobst. Die Worte verstand er, aber um sie in Beziehung zum Wein zu setzen, fehlte ihm die Erfahrung.
    Er begann mit dem ersten Fass ganz links. Die Kennzeichnung der Fässer tippte er in den Rechner und notierte danach seine
     Eindrücke. Ob falsch oder richtig – das war egal. Jedes Glas ließ er mit ein wenig Inhalt vor sich auf |186| dem Tisch stehen und roch immer wieder, verglich, nippte und war so konzentriert, dass er den Kellermeister erst bemerkte,
     als er vor ihm stand.
    »Was glotzen Sie mich an? Gehen Sie, machen Sie Ihre Arbeit«, schnauzte er ihn auf Deutsch an, und erschrocken trollte sich
     da Silva, drehte sich aber noch einmal um. »Gehen Sie, habe ich gesagt«, rief Nicolas ihm hinterher und machte die gleiche
     Handbewegung wie der Verwalter bei seiner Ankunft. Im Laufe des Vormittags schauten alle »Mitarbeiter« vorbei, um zu sehen,
     was der neue Eigentümer veranstaltete. Nicolas war vom Probieren benebelt, als Dona Firmina ihn zum Mittagessen rief. Wenigstens
     eine, die es gut mit ihm meinte – solange sie ihm kein Rattengift in die Kartoffelsuppe tat, mit der sie das Menü eröffnete.
     Als sie zuletzt ein rundes Törtchen und ein Glas Tawny servierte, wollte er ablehnen, aber Dona Firmina ließ nicht locker.
     »Pastel de Nata«, meinte sie und bedeutete ihm, die cremige Füllung mit dem Portwein zu genießen. Es war das ultimative Geschmackserlebnis,
     ein pures Glücksgefühl, das ihn für die Unbilden dieses Tages entschädigte, und er gönnte sich einen Mittagsschlaf. Eigentlich
     war es mehr eine Ohnmacht.
    Am Nachmittag

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