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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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winkte Lourdes ihm aus dem Büro zu und bedeutete ihm, ihr zu folgen. Während sie zu den Wirtschaftsgebäuden
     gingen, schaute sie sich mehrmals um. Fürchtete sie Gonçalves? Im Labor zeigte sie auf einen verschlossenen Rollschrank. »
Open it
«, sagte sie und drehte die Hand, als würde sie die Tür aufschließen.
    Lourdes wusste, welcher Schlüssel an Nicolas’ Bund passte, und sie tat es selbst. Sie durchsuchte den Schrank, hob alle Mappen
     und Ordner an, die hier aufbewahrt wurden, und ihre Enttäuschung nahm zu, als sie merkte, dass das Gesuchte nicht zu finden
     war. Mühsam erklärte sie Nicolas, dass hier Kellerbücher aufbewahrt wurden, in denen alles notiert wurde, was im Keller geschah,
     welche Fässer womit |187| gefüllt waren und wie sich die Weine entwickelten, egal ob es sich nun um Port- oder Tischwein handelte, und die abgefüllten
     Mengen. Lourdes biss sich auf die Unterlippe, dann kam ihr ein Gedanke. »Senhor Otelo . . .«
    Mehr bekam sie nicht heraus, denn Gonçalves kam wutschnaubend in den Raum und polterte los. Nicolas verstand kein Wort, aber
     er hatte endgültig die Faxen dicke (wie Happe zu sagen pflegte), am liebsten hätte Nicolas den Choleriker mit einem Faustschlag
     zum Schweigen gebracht, aber wer würde dann den Betrieb hier aufrechterhalten? Er sah sich dazu nicht in der Lage. Sich mühsam
     beherrschend schob er sich zwischen die beiden, grinste den Verwalter an, den er fast um einen Kopf überragte, legte einen
     Finger auf die vorgestülpten Lippen, machte »Pssst« und schob den verdutzten Mann rückwärts aus der Tür, noch immer lächelnd.
     Drüben, von der großen Halle aus, sah der Kellermeister zu. Bestens, dachte Nicolas, das Blatt wendet sich.
    »Sie müssen Senhor Otelo finden«, wiederholte Lourdes in ihrem kaum verständlichen Englisch. »Er wohnt in Tabuaço.« Jetzt
     nicht mehr, dachte Nicolas und fragte sich, was hier nach Friedrichs Tod eigentlich vorgefallen war. Alle, die ihm weiterhelfen
     konnten, waren verschwunden.
     
    Unvorstellbar, dass diese Musik bereits vor seiner Geburt aufgenommen worden war: die Band Chicago, 1968. Die Aufnahme der
     Allman Brothers Band stammte von 1976, den Fotos auf dem Doppelalbum nach zu urteilen waren die Typen damals ziemlich gut
     drauf gewesen. Es war eine Musik, die Nicolas gefiel, allerdings konnte er das damalige Zeitgefühl kaum erfassen, heute bedeutete
     sie Nostalgie. Was waren das für Jahre, die Sechziger und Siebziger, was für eine Zeit, dass man die Menschen nach ihrem Jahrgang
     beurteilte, sogar nach einer Jahreszahl? Das gab es sonst eigentlich nur beim Wein. Er hatte nie gehört, dass sich jemand
     selbst als 68er bezeichnete, der Begriff kam nur von |188| anderen, und dann meist in Verbindung mit Vorurteilen. Ein 68er oder Alt-68er war frech, links, undogmatisch, unkonventionell,
     antikapitalistisch und eigentlich gegen alles. Diejenigen, die sich als solche bekannten, schworen gerade medienwirksam ab
     und sich auf den Mainstream ein. Einen 69er oder einen 73er gab es höchstens als Bordeaux, ein solcher lag in Friedrichs Keller.
    Blind Faith hörte er jetzt, Blindes Vertrauen. Jene achtundsechziger Jahre waren eher vom Gegenteil geprägt, von Protest und
     Widerstand. Da war Friedrich gerade mal volljährig gewesen. Wie war das Gefühl jener Epoche, der Sechziger? Es machte Nicolas
     neugierig, weil die 68er ständig diffamiert wurden. Sie waren schuld am Sittenverfall und Elend dieser Welt und der Gewalt.
     Sie hatten angeblich die Rote Arme Fraktion geschaffen. Klar, das stimmte, und auch wieder nicht, die RAF war aus jener Zeit
     hervorgegangen, aus dem Konflikt mit einem totalen Staat, aus Eitelkeit. Verworrene Visionen waren im Spiel gewesen, Gefühle,
     ein Aufbruch ins Unbekannte, vielleicht zu besagtem dritten Ufer, so zumindest empfand Nicolas die Musik, die er laut gestellt
     hatte, um sie auf der Terrasse zu hören. Und fundamentale Kritik an allem hatte zum Lebensgefühl gehört. Es musste Friedrichs
     Gefühl gewesen sein. Heute müsste man das ganze System infrage stellen, komplett, total, einfach alles. Und was dann? Als
     Erstes die Soldaten aus Afghanistan zurückholen. Hielten sich die deutschen Politiker für schlauer als die imperialistisch
     geschulten Briten? Was jene und die Weltmacht Sowjetunion mit Panzern und Bomben nicht geschafft hatten, wollte diese Mitläuferin
     aus Templin ohne allzu viel Aufsehen (und Tote) über die Bühne bringen? Unter Cäsar hatte keine

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