Der Portwein-Erbe
der letzten Zeit war
ihm nur Sergeant Peppers’ ›Lovely Rita‹ geblieben. Zumindest hatte er sie davon überzeugt, dass er ihre deutschen Gäste durch
die Quinta führen konnte. Er zählte auf Dona Firmina. Was gaffte sie ihn seitdem so merkwürdig an, oder bildete er sich das
ein? Übermorgen wollte Rita also vorbeikommen – doch wozu? Was es zu bereden gab, war besprochen, den Rest konnte man am Telefon
klären. Die Reisegruppe würde mit dem Schiff vormittags in Pinhão eintreffen. Nicolas würde sie im »Vintage House Hotel« abholen.
Carlos hatte wie üblich keine Zeit, was Nicolas ärgerte, dabei war ihm klar, dass Carlos ihm in keiner Weise verpflichtet
war, weder, um zu helfen noch, um den Übersetzer zu spielen. Nicolas musste sich fügen, nur für ihn begann |202| eine Art neues Leben, alle anderen steckten mitten im eigenen, hatten Verpflichtungen, folgten Interessen und gingen ihren
Neigungen nach. Für ihn gab es das nicht. Er hatte bei Pereira unterschrieben – und was folgte, waren Sachzwänge. Die Freiheit
der grundsätzlichen Entscheidung währte nur kurz, den Rest musste man fressen. Rita war wichtig, sie kannte Friedrich und
Dona Madalena. Rita wusste, wie der Betrieb auf der Quinta ablief, die nächste Führung würde ihre fünfte sein. Ein verregnetes
Wochenende hatte sie auf Friedrichs Einladung im Gästezimmer verbracht, die meiste Zeit allerdings in der Bibliothek. Ob er
die portugiesischen Autoren gelesen hätte, hatte sie gefragt.
Auf Carlos würde er länger verzichten müssen, der hatte wichtige Seminare auf dem Plan und fuhr zwei Wochen auf eine Exkursion
zu Winzern ins Dão-Gebiet. Also stand er allein mit dem Weingut da, dem cholerischen Verwalter, seiner Suche nach Otelo und
einem verschwundenen Arbeiter. Sollte er Rita um Hilfe bitten? Aber dann würde sie merken, wie sehr er noch am Anfang stand.
Später am Abend hörte er einen Wagen. Eigentlich hatte ihn Perúss aufmerksam werden lassen. Der Hund war ihm bis in die Bibliothek
gefolgt, wo Nicolas sich durch die Handbücher des Weinbaus wühlte, sich im Rebsortenlexikon verbiss und bei einem Werk stecken
blieb, das darüber Auskunft gab, wie man Weine prüfte, erkannte und genoss. Alles war aufgeschrieben, nichts war neu. Sein
Problem bestand darin, die Worte mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Eben hatte der Hund den Kopf gehoben, war auf
die Terrasse gelaufen und hatte gebellt. Nicolas hörte ihn die Treppe hinuntersausen und sah seinen Schatten verschwinden.
Das unbekannte Motorengeräusch kam von rechts oben, aus einer Richtung, aus der er bislang außer Grillengezirpe und Vogelgezwitscher
nichts gehört hatte, aber dahin war der Hund nicht gelaufen. Nicolas sah Scheinwerfer sich an Friedrichs Haus herantasten.
Das musste Madalena Barbalho |203| sein. Endlich. Das Leben würde von nun an einfacher werden.
Er war neugierig auf sie. Wie sah sie aus? Man musste sich sympathisch sein, um ins Gespräch zu kommen, um Vertrauen aufzubauen,
damit sie von Friedrich erzählte. Vielleicht hatte sie eine ganz einfache Antwort auf die Frage, weshalb er die Quinta geerbt
hatte. Sollte er gleich hinaufgehen oder auf ihren Anruf warten? Dazu hätte sie wissen müssen, dass er hier war.
Dona Madalena war eine stattliche und interessante Frau. Sie sah gut aus, aber sie war nicht schön, dazu war sie zu herb.
Um ihre Mundwinkel war eine harte Linie, die Nicolas störte. Oder lag es am Altersunterschied von fünfzehn Jahren? Frauen
von Mitte 40 waren ihm nicht vertraut. Diese Frau hatte viel erlebt, das fühlte er, sie hatte viel zu erzählen, das sah er
ihr an, und sie verbarg wohl auch einiges, das ahnte er. Sie trug ihr schwarzes Haar glatt und streng zurückgekämmt; das gefiel
Nicolas, es machte sie ernsthaft. Diese Frau wird es Friedrich nicht leicht gemacht haben und umgekehrt. Es musste eine starke
Beziehung bestanden haben, dass sie sich auf ein solches Abenteuer eingelassen hatten.
Sie war groß und schlank, fast zu schlank. Ihre lange schwarze Bluse reichte bis über die schwarze Hose und war an den Seiten
geschlitzt, wodurch sie etwas Asiatisches gewann (dass sie in der ehemaligen portugiesischen Kolonie Macao geboren war, erfuhr
Nicolas erst später, und es passte zu ihr). Der schwarze Rahmen betonte ihr Gesicht, machte Madalena Barbalho fast zu einer
Pantomime. Und in dem blassen Gesicht dominierte über den ausdrucksstarken, aber nicht zu vollen Lippen
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