Der Portwein-Erbe
.«
»Anschließend habt ihr im Fasslager seine Tawnys und Rubys probiert«, unterbrach sie Nicolas. »Friedrich hat die Unterschiede
zwischen einem Vintage Port und einem Late Bottled Vintage erklärt, eine Colheita oder einen Dated Port hat er auch noch –
habt ihr den probiert?«
»Das erinnere ich nicht«, sagte Rita überrascht. »Du kennst dich mit seinen Weinen aus?«
»Ich hatte Gelegenheit, mich damit zu beschäftigen«, meinte Nicolas, als wäre Portwein schon immer sein Geschäft |209| gewesen. »Von morgens bis abends, auch nachts, hier gibt’s nichts anderes.«
»Das hat dein Onkel auch gesagt, fast mit derselben Stimme. Es verwirrt mich total, diese Stimme. Wenn du redest, sehe ich
ihn geradezu vor mir. Die Verwandtschaft lässt sich nicht verleugnen. Du siehst ihm sehr ähnlich.« Verlegen senkte sie den
Blick. »Als letzte Station haben wir das Flaschenlager besichtigt«, sagte sie schnell. »Seu Frederico ist dann auf die Stillweine
eingegangen und dass sie im Douro eigentlich keine Tradition haben. Das hätte so richtig erst 1986 mit Portugals Eintritt
in die Europäische Gemeinschaft begonnen. Er hat von dem Gesetz gesprochen, dass Portwein nur von Vila Nova de Gaia aus verkauft
werden durfte, das hing mit dem englischen Monopol zusammen. Aber du weißt das sicher besser.«
Nicolas schwieg, zu sehr wollte er nicht aufschneiden. Wenn sie ihn für einen Fachmann hielt, würde sie Fragen stellen, denen
er nicht gewachsen war, aber zumindest unter den Blinden, und das würden die Teilnehmer ihrer Reisegruppe sein, wäre er als
Einäugiger der König.
»Den Abschluss bildete das Essen oben im Speisezimmer, dazu gab es dann die drei normalen Weine und zuletzt den Port.«
Nicolas atmete auf. Er müsste alles nachlesen, was Rita erwähnt hatte. Am besten probte er die Führung und klapperte die einzelnen
Stationen ab, besser noch, er machte sich eine Art Drehbuch. Eine Colheita oder einen Dated Port hatte er unter den abgefüllten
Flaschen nicht gesehen, aber er könnte vorgeben, einen zu machen. Die Trauben mussten aus demselben Jahr sein, und eine Fassreife
von sieben Jahren war das Minimum. So was Ähnliches hatte er auf der Bestandsliste gesehen. Er schmunzelte über seinen Einfall,
wurde aber wieder ernst.
Er erzählte Rita von Otelos Verschwinden und dass er |210| ihn dringend brauchte. »Es gibt viele Unklarheiten, eigentlich sind es mehr Ungereimtheiten«, sagte er nur, denn zu viel wollte
er nicht verraten, und fragte sie, ob sie ihn nach Tabuaço begleiten könne. Er hoffte es inständig, nicht nur Otelos wegen,
sondern auch, um ihre Gegenwart noch länger zu genießen. Und er konnte sie nebenbei fragen, ob sie nicht zum Essen bleiben
wollte.
Unterwegs erzählte sie ihm, was sie nach Portugal verschlagen hatte. Sie war immer reiselustig gewesen und hatte nach dem
Abitur nicht studiert, sondern in einem Reisebüro eine Lehre begonnen. Doch das war ihr auf Dauer zu langweilig.
»Deshalb habe ich Romanistik studiert, Spanisch und Portugiesisch. Und bei meinem ersten Aufenthalt in Lissabon habe ich mich
dann in Fernando Pessoa verliebt . . .«
Nicolas zuckte. Also doch! Er hatte wieder Pech. Wenn ihn eine Frau interessierte, kam immer ein anderer Mann dazwischen,
wie bei der Belgierin, das hatte er befürchtet. Seine Hand verkrampfte sich am Lenkrad, und er hatte Mühe, in der nächsten
Kurve nicht an der Felswand entlangzuschrammen. Er musste sich rechts halten, so nah wie möglich am Berg, falls ihm ein wahnsinniger
Portugiese entgegenkam.
». . . und Pessoas wegen habe ich dann noch Literaturwissenschaft belegt. Kennst du ihn?«
»Nein!«, sagte Nicolas grimmig. »Ich kenne hier ganz wenige Leute; nur die, mit denen ich von Berufs wegen zu tun hatte.«
Rita lachte laut auf. »Du kennst Fernando Pessoa nicht?«, fragte sie gespielt vorwurfsvoll. »Bist du ihm in der Bibliothek
nicht begegnet?«
Jetzt wusste Nicolas nicht mehr, woran er war. Hielt sie ihn zum Besten?
»Er ist einer der wichtigsten Autoren Portugals, wenn nicht gar der wichtigste Lyriker . . .«
|211| »Und du hast dich in ihn verliebt?«
Rita gluckste, sie konnte sich gar nicht beruhigen.
»Du dachtest, er ist ein wirklicher Mensch, ein Mann?– Nicolas, du bist süß.«
Er ärgerte sich zuerst über seine Unwissenheit, doch ihr Lachen wirkte ansteckend. »Entschuldige, wenn man so tief in den
Dingen steckt, sieht man nicht, dass andere sich an einem gänzlich
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