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Der Portwein-Erbe

Titel: Der Portwein-Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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eine große schwarze
     Sonnenbrille, hinter der die Augen verschwanden. Das machte Nicolas nervös. Er wusste nicht, ob er sie bitten sollte, die
     Brille abzusetzen. Sie tat ihm von allein den Gefallen, und erst |204| jetzt sah er ihren Gesichtsausdruck. Sie wirkte bedrückt, ihre Augen waren dunkel umschattet, das machte den Blick tief und
     schwer zu ergründen, doch sie sah Nicolas mit Neugier an.
    Was für einen Unsinn man sich zusammenreimt, wenn man einem Menschen zum ersten Mal begegnet, dachte Nicolas und streckte
     die Hand zur Begrüßung aus, während sie sich vorbeugte und ihm die Wange zum Kuss hinhielt.
    »Das macht man so in Portugal – und in der Familie. Herzlich willkommen auf unserer Quinta, Nicolau.«
    Sie war der erste Mensch, der ihn in diesem Land freundlich willkommen hieß. Und noch dazu sprach sie Englisch. Was für eine
     Erleichterung. Von nun an konnte er sich verständlich machen, und Gonçalves war aus dem Rennen, er würde nicht länger vorgeben
     können, ihn nicht zu verstehen. Die Sache mit den Arbeitern werde ich als Erstes klären, doch immer mit der Ruhe, sagte er
     sich, es gibt anderes, das wichtiger ist.
    »Du hast einen bösen Unfall gehabt.« Ihr Lächeln nahm dem Gesicht die Härte. »Das tut mir leid, aber wenn man jung ist, nimmt
     man vieles nicht so tragisch. Und eingerichtet hast du dich auch schon. Zwar nicht konfliktfrei – so was spricht sich herum
     –, aber man sieht dahinter den Willen, die Kraft. Insofern seid ihr euch ähnlich, auch äußerlich. Frederico war ein schöner
     Mann.« Sie schlug die Augen nieder und bekam wieder diesen gequälten Ausdruck. »Ob ich mich daran gewöhnen werde, dass er
     tot ist? Kann man das? Man sagt, die Zeit heilt alle Wunden. Hast du schon einen geliebten Menschen verloren?«
    Nicolas schüttelte den Kopf. Er würde sich mit seinen Anliegen gedulden, vorerst durfte er Dona Madalena nicht mit seinen
     Alltagssorgen belasten. Er wollte sie gewinnen und nicht vor den Kopf stoßen.
    »Ich wollte eigentlich nicht so bald wiederkommen, aber als ich hörte, dass du hier bist, habe ich gedacht, du könntest |205| Hilfe brauchen. Außerdem – man muss sich der Wirklichkeit stellen.«
    Nicolas hatte nicht erwartet, dass sie ihm so weit entgegenkommen würde. Es war mehr, als er zu hoffen gewagt hatte.
    »Etwas Zeit musst du mir allerdings lassen, bevor wir über alles reden. Es gibt viel zu besprechen. Jedenfalls bin ich froh,
     dass du da bist.« Sie schluckte und presste einen Moment lang die Lippen aufeinander. »Magst du übermorgen zu mir kommen?
     Ich will morgen zum Friedhof, mich ums Grab kümmern, da kann ich niemanden sehen ... Wir könnten gemeinsam einen Grabstein
     aussuchen.«
    »Ich war vor einigen Tagen auf dem Friedhof . . .«, Nicolas bemerkte Dona Madalenas Reaktion, es schien ihr nicht zu gefallen.
     Sie machte eine kaum merkliche Bewegung rückwärts, etwas wie Verblüffung in ihrem Gesicht.
    »Hätte ich ... da nicht hingehen sollen?«, fragte er.
    »Nein, nein«, entgegnete sie tonlos, »es ist nur die Stimme, Friedrichs Stimme, du sprichst wie er, der gleiche Klang, die
     gleiche Stimme, Deus me livre . . .«
    Während Dona Madalena um Fassung bemüht war, erzählte ihr Nicolas, um sie abzulenken, von den Touristen, die sich angemeldet
     hatten.
    »Das traust du dir bereits zu?«, fragte sie erstaunt. »Na, blamiere dich nicht und rechne nicht mit mir. Ich möchte allein
     sein. Nein, diese Stimme, deine Stimme, wie er . . .«
    War das der Grund, weshalb auch Perúss ihn immer so merkwürdig ansah? Carlos war es aufgefallen, Pereira hatte es bemerkt
     und auch Dona Firmina. Er zuckte mit den Achseln, damit musste sie klarkommen.
    »Ich würde die Fahrt zum Friedhof lieber um einen Tag verschieben«, sagte er, um sich den Tag für Lovely Rita freizuhalten.
    Dona Madalena war es recht, sie wandte sich zum Gehen, |206| als Nicolas noch eine Frage an sie richtete, die ihn beschäftigte.
    »Leben Sie jetzt allein – in dem Haus, so weit weg von allem? Oder haben Sie jemanden . . .?« Es war ohne Hintergedanken gefragt.
    An der Antwort merkte er, dass ihr die Frage nicht gefiel. »Wir hatten eine Haushälterin, genau wie du! Die wohnt im Ort.
     Sie kommt, wenn ich sie brauche! Und dann erwarte ich eine Cousine aus Lissabon, aber das hat Zeit, ich will erst einmal für
     mich sein, muss begreifen, was passiert ist. Ich muss es hier tun. Ich dachte zuerst ... ach, besser nicht,
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, bis später, Nicolau.«

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