Der Portwein-Erbe
Sie wandte sich brüsk ab.
Sie zu schonen, gefiel ihm gar nicht, er hatte so viele Fragen, aber er musste es tun, mehr aus Pflichterfüllung, denn aus
Mitgefühl, er wollte sie nicht verärgern. Außerdem war er der einzige Familienangehörige. Aber gehörte eine Lebensgefährtin
zur Familie? Es würde sich zeigen.
Nicolas sah ihr nach, wie sie in das silberne Coupé stieg. Der Peugeot war fabrikneu, etwas zu schick, ein harter Kontrast
zu den Steinen, den Mauern, dem Staub, der sich auf alles legte, seit es nicht mehr regnete. Nicolas betrachtete den Geländewagen,
Friedrichs Geländewagen, unter den Bäumen. Der gehörte hierher, der passte zur Umgebung. Nicolas wunderte sich, dass Dona
Madalena die Köchin nicht begrüßt hatte.
Kaum war Dona Madalena außer Sicht, kam Perúss, als hätte er darauf gewartet. Perúss begleitete ihn, heute war er vielleicht
fünf Zentimeter näher gekommen. Anscheinend gefiel es ihm besonders, wenn Nicolas Portugiesisch lernte und dabei laut redete.
Aber er hatte eine angenehmere Art zu lernen entdeckt. Unter Friedrichs Schallplatten hatte er brasilianische Scheiben gefunden
und die dazugehörigen Texte. So konnte er sich mit einem Glas Wein auf die Terrasse setzen, Musik hören und die Texte verfolgen,
es |207| war total
relaxed
. Er sollte seinen Aufenthalt als Urlaub betrachten, bevor er sich auf den Rückweg machte und die Häuser entwarf, von denen
er träumte. Die Wirklichkeit würde ihn früher oder später sowieso einholen.
Rita kam inmitten ihrer Staubwolke angerast, sie war viel zu spät und abgehetzt. »Nichts funktioniert, keiner ist da, alle
kommen zu spät«, schimpfte sie. »Der Reiseveranstalter erwartet, dass alles klappt, dabei haben sie keine Ahnung, was hier
wirklich abläuft. Niemand hält sich an Absprachen, die Leute erscheinen nicht zu Verabredungen, eine Frechheit, jemanden eine
Stunde warten zu lassen, das ist eine Stunde meines Lebens. Das zählt einfach nicht.
Calma, não se preocupe
heißt es dann, immer mit der Ruhe, regen Sie sich nicht auf. Dabei muss ich für jeden Fehler geradestehen. Und dann die Touristen.
Ich habe manchmal den Eindruck, dass sie nur darauf warten, dass etwas nicht klappt, damit sie den Reisepreis wieder einklagen
können.«
»Keine Alternative in Aussicht?«, fragte Nicolas und grinste. »Keinen ruhigeren Job?«
»Ich wüsste schon, was ich lieber täte«, brummte Rita und blickte finster vor sich hin. »Dafür hat man nun studiert.«
»Wofür hat man studiert? Ist doch wunderschön hier.« Nicolas breitete die Arme aus und sah sich um. »Eine wunderbare Landschaft,
Sonne, angenehme Gesellschaft, heute zumindest, oder hast du noch nicht gegessen? Dona Firmina macht uns bestimmt einen wunderbaren
Kaffee ... oder du gehst besser erst einmal ins Bad. Eine Dusche wirkt Wunder. Den Weg kennst du ja . . .«
Hörte Nicolas da bei sich selbst einen Vorwurf heraus, etwas wie Eifersucht auf Friedrich? Was war mit ihm los? Während Rita
im Bad verschwand, ging er in die Küche, den Kaffee konnte er selbst zubereiten. Er musste sowieso |208| einiges mehr in die Hand nehmen, er wusste nicht einmal, wo der Zucker stand, wo die Töpfe und Pfannen waren, wo man Einkaufen
ging. In Berlin musste er sich ja auch um alles kümmern.
Nach der Dusche folgte Rita Nicolas auf die Terrasse, wo sie ihm den Ablauf von Friedrichs Führungen durch die Quinta schilderte.
Es hatte immer im Schatten der Mimosenbäume mit einem Glas Weißwein begonnen. Er hatte aus seinem Leben erzählt und berichtet,
wie er 1974 nach Portugal gekommen war, hatte die politische Situation aus der Sicht eines Augenzeugen geschildert, hatte
auch die Kooperative im Alentejo nicht ausgelassen, wo er mit Otelo gearbeitet hatte, den er dann vorstellte.
»Wo ist der eigentlich?«, fragte Rita.
»Das besprechen wir gleich, ich habe auch einige Fragen beziehungsweise eine große Bitte«, meinte Nicolas, der mehr hören
wollte; denn was Rita berichtete, wusste er nur von seinen Eltern. Wenn sie auch geschieden waren, in ihrer ablehnenden Haltung
Friedrich gegenüber waren sie sich einig gewesen. Ihn aber interessierte viel mehr, was andere über seinen Onkel dachten.
»Wir haben uns dann die Gärtanks und die
lagares
angesehen, die Becken, in denen der Wein getreten wird, und dabei hat dein Onkel erklärt, was bei der Gärung passiert, wie
lange der Wein da bleibt, wie sich Zucker in Alkohol verwandelt . .
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