Der Portwein-Erbe
ich
habe nicht bemerkt, dass er krank war.«
»Woher kannten Sie ihn?«
»Mein Name ist Rita Berthold, ich arbeite für ein Reisebüro und begleite Weinliebhaber in die verschiedenen Weinregionen und
auf die Quintas. Hier bei ... Ihnen war ich mehrmals. Ihr Onkel hat uns herumgeführt, und wir haben da oben gegessen.« Sie
zeigte auf die Terrasse.
Lovely Rita, dachte Nicolas und erinnerte sich an Sergeant Pepper’s von letzter Nacht. Lovely Rita, was für eine Frau, er
würde sich den Titel heute Abend wieder anhören.
»Arbeitet Dona Firmina noch hier?«, fragte Rita. »Die ist ja schon Ewigkeiten da. Ich glaube, die war schon hier, als Ihr
Onkel noch nicht oben gewohnt hat.«
»Da kannten Sie Friedrich aber noch nicht, oder?«, fragte Nicolas verblüfft.
Sie lachte – ein wunderschönes Lachen. Zuerst lachen sie immer so, dachte Nicolas und erinnerte sich daran, wie Sylvia anfangs
gelacht hatte und ihn dann hatte erziehen wollen.
»Nein, ich kenne, äh, ich kannte ihn erst zwei Jahre. Aber wir verplaudern uns, ich muss weiter. Ich werde in zwei Wochen
mit einer Gruppe von elf Personen an den Rio Douro kommen, wir fahren von Porto aus mit dem Schiff |199| bis Pinhão. Wir übernachten im ›Vintage House Hotel‹ und wollten dann auch diese Quinta besichtigen, gerade weil sie einem
Deutschen gehört. Aber das hat sich ja leider erledigt, wie Senhor Gonçalves meinte.«
»Wieso das?«, fuhr Nicolas dazwischen, er war alarmiert. Rita zuckte ein wenig zurück. »Sie würden sich nicht auskennen, sagte
er, und sonst hätte niemand Zeit . . .«
»Das hat er Ihnen gesagt?« Geschäftsschädigend ist der Lump, dachte Nicolas, auch wenn es stimmte. Doch diese Frau musste
er unbedingt wiedersehen. »Selbstverständlich bringen Sie Ihre Gäste wie immer zu uns«, sagte er mit Überzeugung. »Unsinn,
was der Mann sagt. Er muss mich falsch verstanden haben. Außerdem treffe ich solche Entscheidungen.«
»Ich dachte, Sie sind Architekt und nur hergekommen, um den Nachlass . . .«
»Das hat er auch gesagt?«
Statt einer Antwort nickte sie nur.
»Ich habe das Weingut von meinem Onkel geerbt, übernommen sozusagen, und werde es betreiben. Sind Ihre Gäste eher an Tawny
oder an Ruby interessiert? Oder legen sie mehr Wert auf unsere Stillweine? Man müsste mit Dona Firmina das Menü besprechen,
wenn sie bisher für Sie gekocht hat, wie Sie sagen, wir müssen die Auswahl der Weine klären . . .« Nicolas war stolz auf sich,
dass er die richtigen Worte parat hatte. Irgendwie würde er das Ding wuppen, die Ideen kamen beim Machen.
»Was ist mit Ihrem Arm passiert?«, fragte sie, als sie mit Dona Firmina in der Küche saßen.
Rita hatte sich von ihr doch zu einem Kaffee überreden lassen, nachdem Dona Firmina ihr unter Tränen von Friedrichs tragischem
Tod berichtet und auch Nicolas’ Anwesenheit erklärt hatte. Rita hatte, ohne auf Nicolas’ Zustimmung zu warten, übersetzt.
Gemeinsam hatten sie das Menü für den Besuch festgelegt, die Weine hatte Dona |200| Firmina ausgesucht, und Nicolas hatte sich diplomatisch durchgeeiert.
Er schaute auf den Arm wie auf einen Fremdkörper, als hätte er ihn nach dem Unfall für eine Weile abgelegt. Es tat sich vor
ihm so viel Neues auf, dass er sich kaum darum gekümmert hatte.
»Der Arm?«, achselzuckend stülpte er die Unterlippe vor, für einen Moment fühlte er sich nicht befangen. »Ich war heute beim
Röntgen, der Arzt meinte, die Heilung schreite gut voran«, und er erzählte Rita, als sie neben ihrem Wagen standen, von seinem
Sturz.
»Das mit der Treppe finde ich merkwürdig«, sagte Rita und schüttelte nachdenklich den Kopf. »Bei meinem letzten Besuch sind
wir mit einem Dutzend Leute runtergestiegen, da waren einige dabei, die waren bedeutend schwerer als Sie. Da hat nicht eine
Stufe geknarrt.«
|201| 10.
Dona Madalena
Rita war in einer Staubwolke entschwunden, sie hatte allerdings versprochen, vor dem Eintreffen ihrer Reisegruppe noch einmal
vorbeizuschauen. Jetzt waren die zwei Wochen um. Am Vortag hatte sie angerufen – übermorgen würde sie kommen, Nicolas war
aufgeregt, es war ein Gefühl zwischen Angst und Erwartung, wie damals bei der Belgierin in Rotterdam, nur um einiges schlimmer.
Allen Fragen nach persönlichen Beziehungen war sie ausgewichen, oder hatte er seine Fragen so verklausuliert gestellt, dass
nur eine blödsinnige Antwort herauskommen konnte? In solchen Momenten benahm er sich ungeschickt. In
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