Der Portwein-Erbe
zumindest hatte Nicolas nicht den Eindruck. Ein Mann mit weißen Farbspritzern im Gesicht und auf
dem Overall öffnete die niedrige Haustür. Es war eines jener portugiesischen Arbeiterhäuser, wo der Fortschritt und der Wohlstand
nie angelangt waren. Perúss wedelte kurz mit dem Schwanz, also kannte er den Mann, es konnte sich nur um Pacheca handeln.
|246| »Ich wusste, dass Sie kommen«, sagte er mit einem groben, kehligen Akzent.
Er sprach tatsächlich Deutsch, wie Nicolas erleichtert feststellte. Vielleicht bekam er die Weinlese doch noch hin. Er brauchte
die Experten, und er setzte seine freundlichste Miene auf. Pacheca war ihm sympathisch. Er musste diesen Mann unbedingt gewinnen.
Er wollte ihn auf der Quinta haben. Aber dazu musste er wissen, weshalb er gegangen war.
Antão Pacheca mochte an die 50 sein, doch körperlich hart arbeitende Menschen alterten schneller als Schreibtischhocker.
»Wir renovieren«, sagte er. »Ich streiche unsere Wohnung. Ich kann Sie nicht ins Haus bitten.« Nach dem freudigen Erstaunen
kam der Rückzug. Pacheca wich Nicolas’ Blick aus, wandte sich ab und gab den Blick auf die mit Zeitungspapier ausgelegten
Räume und mit Folie abgedeckten Möbel frei. Farbeimer standen herum, es roch nach frischer Wandfarbe, im Flur bemerkte Nicolas
eine Waschmaschine in der Originalverpackung. Aus der Küche brachte eine Frau mit Kittelschürze den Geruch von Essen mit.
Sie sagte etwas, und Pacheca nickte.
»Meine Frau, Dona Elisabeth. Sie spricht kaum Deutsch.«
»Waren Sie nicht zusammen in Köln?«
»Ja, ja, aber sie ist lieber im Haus geblieben, wie die anderen Frauen. Sie hat nur mit unseren Landsleuten geredet. Und im
Supermarkt kann man einkaufen, ohne zu sprechen. Da lernen die Frauen wenig.«
»Aber sie versteht mich?« Nicolas sah an ihren Augen, dass es sich so verhielt.
»Ich glaube nicht. Es ist lange her. Zehn Jahre sind wir wieder hier.«
Wieso log Pacheca? Sollte seine Frau nicht mitbekommen, was er mit ihrem Mann zu besprechen hatte? Statt nachzubohren, wechselte
Nicolas das Thema.
|247| »Und Sie haben damals gleich Arbeit auf der Quinta meines Onkels bekommen?«
Pacheca nickte. »Er war ein guter patrão, ein guter Chef. Er hat besser bezahlt. Er hat uns gut behandelt.«
»Weshalb haben Sie dann gekündigt?«
Jetzt wollte die Frau etwas sagen, wies auf Nicolas, der noch immer in der Tür stand, als ihr Pacheca über den Mund fuhr.
»Weil Ihr Onkel tot ist. Senhor, ich streiche das Haus, unsere Wohnung. Wir haben viel Arbeit. Mit Ihrem Onkel, seinem Tod,
das tut mir leid. Aber ich sage jetzt Auf Wiedersehen. Ich wünsche viel Glück mit der Quinta.« Er wollte sich zurückziehen.
Nicolas ging nicht darauf ein. »Ich muss mit Ihnen reden! Ich will, dass Sie wiederkommen und mit mir arbeiten, wie Sie mit
meinem Onkel gearbeitet haben! Ich habe die Quinta geerbt. Ich brauche Sie, ich brauche Ihre Hilfe.«
»Ich kann nicht, Senhor. Ich habe Arbeit, viel andere Arbeit . . .«
Wieder sprach die Frau, sie stritten sich. Es sah aus, als wären beide gänzlich unterschiedlicher Meinung. Pacheca hob die
Stimme und wies sie zurecht, aber sie blaffte genauso zurück, wies auf Nicolas. Er hörte sie den Namen der Quinta und des
Onkels nennen, nur leider konnte er sich keinen Reim darauf machen.
»Ich habe große Schwierigkeiten, Probleme, Sorgen«, setzte Nicolas nach. »Ich brauche Hilfe, ich brauche jemanden, der Deutsch
spricht und der die Weinberge kennt. Es sind fremde Arbeiter im Weinberg. Ich weiß nicht, was sie dort machen. Kommen Sie
wenigstens mit und sehen sich alles an.« Nicolas’ letzte Worte hatten so verzweifelt geklungen, wie er im Moment war.
Pacheca wand sich. »Ein wenig kann ich helfen, gut, ich komme nächste oder übernächste Woche, ich rufe an . . .«
|248| »Ich brauche Sie morgen und nicht erst nächste Woche! Da ist es zu spät!«
»Kann ich nicht ändern. Ich muss jetzt weitermachen, die Farbe, Sie verstehen? Sie trocknet ... auf Wiedersehen.«
Pacheca wollte ihn loswerden. Und nicht, weil er renovierte, sondern weil er vor irgendetwas Angst hatte. Perúss schnüffelte
an einem nagelneuen Motorrad herum, das vor dem Haus stand. Die Leute mussten in jüngster Zeit zu Geld gekommen sein. Die
Waschmaschine, ein Motorrad, das Haus wurde renoviert ...
»Gehört die Ihnen?«, fragte Nicolas, die Yamaha bewundernd. Vielleicht kam er über das Motorrad weiter, er musste dranbleiben.
»Nein, das gehört
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