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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordula Simon
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leer. Hätte er Ahnung davon gehabt, wie es dazu gekommen war, durch Tod, Chemikalien und Stromschläge, hätte er darüber geschwiegen, wie er es nun ohnehin tat, den Kopf schüttelte und so der Frau mit dem Rucksack stumm klar machte, dass er nicht wisse, wo die Gasse sich befinde. Die Stadt war ein Geheimnis geworden über Nacht, eine Braut, die ihre Beine für ihn nicht öffnen wollte. So hoffte er auf den Hund, drehte den Kopf nach rechts, denn der Hund war zu seiner Rechten neben ihm hergelaufen, der Hund, der die Richtungen wohl kennen musste, und er war weniger verzweifelt als zuvor, war er sich doch sicher, dass, obwohl er sich hier auskannte – die Frau war an ihm vorbei weitergegangen –, der Hund an der nächsten Ecke auf ihn warten würde. Zwischen Jekaterina und dem Djuk. Doch er täuschte sich, hielt umsonst Ausschau, Čelobaka hatte ihn verlassen. Ein Jamais-vu-Moment, der ihm mit dem Meereswind vom Boulevard entgegenkam, wo die BMX -Fahrer laut lachten. Lange konnte er sich mit der Sorge um seinen Kopf allerdings nicht befassen, denn in seinem Bauch donnerte und gurgelte es wie in einem Moor bei nächtlichem Gewitter. Du, Hund, hast es gut, dachte er, ich kann nicht einfach neben einem Baum ins Gras kacken. Er entschied sich, nach rechts, in Richtung Deribasovskaja, zu gehen, denn am Primorskij hatte er nichts verloren und ihm fiel keine Toilette ein, die er dort hätte aufsuchen können. Mit still flimmernder Hitze glühte ihm die Sonne auf den Kopf, als er auf die Deribasovskaja trat, zwischen seinen Backen juckte es. Er hatte schon geglaubt, dass der Sommer bereits vorbei war, doch die Frauen trugen noch immer die zu kurzen Röcke, wenn es kühler würde, würden sie zu enge Jeans tragen. Wie sie mit den Hintern wackelten, dachte Anatol, und warteten, dass die Männer mit dem Schwanz wedelten. Er spuckte auf die Straße. Immerhin brennt es nicht wie in Moskau, er strich sich über den Kopf, die Haare hatten die Hitze aufgesogen. Er würde es im Evropa versuchen, das einzige Einkaufszentrum, in dem man für die Toiletten nicht bezahlen musste. Wie oft er sich gedacht hatte, wenn Bekannte behaupteten, dereinst: »Ja idu v Evropu«, dass sie niemals nach Europa gelangen würden, höchstens in das so benannte Einkaufszentrum. Was waren die Leute doch oft einfältig in ihren Tagträumen. Die Drehtür setzte sich in Bewegung, als er durch die Lichtschranke trat, doch im Foyer kam sofort der Achranik auf ihn zu, hielt ihn mit festem Griff am Arm. Achranik, oh diese Wachhunde, die omnipräsenten Türsteher! Anatol musste kehrtmachen, es musste, dachte er, wohl an seinem Aufzug liegen, an der zu weiten Kleidung. Das Sicherheitspersonal achtete genau darauf, wer das Einkaufszentrum betrat und betreten durfte. Sein Bauch wölbte sich, als er aus der Tür gestoßen wurde. Sein Körper spannte schmerzhaft. Vielleicht hätte einer der Kellner der Cafés Mitleid mit ihm, doch vor dem Café Kompot konnte er sich in der verglasten Fassade betrachten: Nicht nur seinen Aufzug, auch sein Gesicht, die müden Augen – er wirkte, als hätte er getrunken. Er seufzte, schließlich hatte er das auch. Die Kellner scheuchten ihn weiter, beobachtet von den Gästen, Mažorie, Touristen – Menschen mit Geld, die einen derartigen Anblick wie den seinen auf der Deribasovskaja sonst nicht zu sehen bekamen. Schaut her, ein Gopnik, denn so sah er aus, wie ein Gopnik. Säße doch er in dem Café bei Kaffee oder Kompott und könnte aus dem Fenster schauen und sich denken, dass er mit sich nichts zu tun haben wolle. Was wäre nun ein Schluck Domašnij-Kompott, hausgemachtes. Nicht, was sie in diesem Café für solches verkauften, mit nur ein paar kleinen Kirschen am Boden des Glases, sondern randvoll gefüllt mit Obst. Er schluckte, ihm war schlecht.
    Mit nur einer Grivna würde er in ein öffentliches Klo dürfen, das am Sobornij Pložad, am Kathedralenplatz zum Beispiel, oder im Einkaufszentrum Afina. Er könnte versuchen zu warten, warten, dass jemand käme, den er kannte, Odessa ist doch eine kleine Stadt, der Zufall lässt alle einander im Zentrum begegnen. Er wunderte sich, warum er bislang noch keinen Bekannten begegnet war, die ihm hätten helfen können, denn er hatte vergessen, wie früh es noch war. Es konnte doch unmöglich so lange dauern, bis jemand käme. Doch noch während er überlegte, wo er sich am besten platzieren könnte, wo er einen geeigneten Aussichtsposten fände, detonierte es wieder und wieder in seinem

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