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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordula Simon
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Inneren. Er schimpfte auf das Hühnerbein und stolperte mehr als er ging in die Unterführung zum Kathedralenplatz hin, vier Ausgänge hatte sie, gut, dass all die Geschäfte, die es früher hier gegeben hatte, geschlossen waren, die großen Schaufenster herausgerissen und keine Beleuchtung mehr, niemand würde ihn sehen, an einem Ausgang stand ein Gitarrist und sang Viktor Zojs »Ich habe Zeit, doch kein Geld«, und an der diagonal gegenüberliegenden Ecke der Unterführung dachte sich Anatol, wie wahr, während er die Hose, ohne sie öffnen zu müssen, so groß war sie, über den Hintern streifte und vorsichtig in die Hocke ging, an den Hund dachte, der es so viel leichter gehabt hatte. Was wünschte er sich doch noch unverrichteter Dinge Klopapier. Selbst das dünne Papier, dass die Zigany hatten, wäre ihm, obgleich es in seinem Zustand Schmirgelpapier glich, willkommen gewesen. Zudem gab es kein reißfesteres Produkt, erhängen könnte man sich daran, fände man jemals einen Balken, der einen trüge. Doch außer Schmerzen in Knie und Rosette kam nichts. Die Bauchschmerzen blieben, nur Blut in der Unterhose konnte er im Halbdunkel der Unterführung erkennen. Wie ein Mädchen, murmelte er. »Ja choču prosto gdje-nibud sjest«, sang der Gitarrist, und Anatol hätte auch gerne einfach irgendwo gesessen, hätte es nicht derart wehgetan. Ihm war, als wäre er an einem fremden Ort, denn nur von daher kannte er, dass sein Darm sich weigern konnte. Eine Woche in Kiev bedeutete für ihn eine Woche ohne Stuhlgang, und er rief sich die Erleichterung ins Gedächtnis, als es auf dem Rückweg nach Odessa dringender und dringender wurde, und er schließlich, sobald er den Geruch der Stadt, nach gegrilltem Fleisch, salzigem Meer und lecken Gasleitungen einsog, seinen Körper von dieser Last befreien konnte. Als fremdelte die Stadt mit ihm, mit seinem Körper: »Gibt die Namen ihrer Straßen im Kopf und die Scheiße im Darm nicht frei«, flüsterte er. Wie ein kleines Kind, das Angst vor ihm hatte, so fremd, wie er nun selbst aussah, so unbekannt, mit der fremden Kleidung auf der Haut und dem fremden Vodka hinter den Augen. Verrenkt hockte er da, hoffend, dass das Blut in der Unterhose nicht alles gewesen sei, was seinen Körper verlassen würde. Doch sein Körper war überzeugender als sein Kopf, er zog also die Hose wieder hoch, versuchte sich aufzurichten und sein Knie zitterte, wieder brach Lärm in seinen Därmen los, wieder zog er die Hose hinunter, doch diesmal gab er schneller auf. Er verließ die Unterführung, vorbei an dem Gitarristen, dem er am liebsten ein paar Kopeken weggenommen hätte, hätte bereits jemand welche in seinen Koffer geworfen, doch dieser war leer. Kein Wunder, dachte Anatol, stünde ich hier, wäre hier mehr, denn er wusste, dass seine Stimmlage alleine ausreichte, sein Gitarrenspiel war nur ein Zusatz, doch war er immer zu stolz gewesen, auf der Straße zu spielen und hatte keine nützlichen Beziehungen, um in Bars aufzutreten. Anatol ermahnte sich sogleich selbst, dass er überhaupt auf die Idee kam, einen Straßenmusiker zu berauben. Die ersten Schritte, die er am Sobornij tat, ließen sein Knie so laut knacken, dass die Baba, die dort Nüsse, Sonnenblumenkerne und Zigaretten verkaufte, erschrak, ihm aber immerhin eine Zigarette schenkte. Nicht gerade eine Papirossa, dachte Anatol, als er sah, dass sie ihm eine von den schwächsten gegeben hatte, aber immerhin. Sie rückte ihr geblümtes Kopftuch zurecht, gab ihm mit einem Streichholz noch Feuer, und er wanderte die Preobraženskaja, deren Namen er ebenfalls vergessen hatte, entlang, die früher die Straße der Roten Armee geheißen hatte, woran er sich natürlich genauso wenig erinnerte. Seit er gestorben war, hatte er nicht mehr geraucht. Er würde zum Markt gehen, zum Privoz, auch an diesen Namen dachte er nicht, er wusste nur, wo er sich befand: auf dem Nachhauseweg. Er saugte an der Zigarette, an die er sich klammern konnte, das Einzige, was er noch bei sich hatte – die alte Gewohnheit.

V
    Если нам yдастся,
мы до ночи не веpнемся в клеткy.
    Янка Дягилева
    Getötet. Sie war es nicht gewesen, sie hatte es nicht getan. Sie rieb ihre Finger. Auch wenn es warm war, waren ihre Finger immer kalt. Nachdem sie die Wohnung aufgeräumt und ihre Sachen gepackt hatte, hatte sie trotz der sommerlichen Temperaturen regelrecht gefroren. Nur an den Händen. Der Körper litt unter der Hitze. Für Irina gab

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