Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)
nicht für uns. In den Supermärkten bleiben manche Regale leer. Warum sollte nachbestellt werden, was sich schlecht verkauft. Wenn es still wird am Tisch, geht ein Milicionär vorbei, kein Engel, da gibt es mehr Grund zu schweigen. Wir nennen unsere Wirtshäuser Bessarabka und denken uns nichts Böses dabei. Wir tragen bunte weite Kleider, die wir am Flohmarkt gekauft haben, wir zaubern Geld weg und Glück herbei, wenn man uns in die Portemonnaies fassen lässt. Wir reden davon, Dämonen auszutreiben, und würden nie zugeben, selbst nie einen gesehen zu haben, der kein geiziger Tourist gewesen wäre. Es sind die Hunde im Heu, die weder Heu fressen noch fressen lassen. Die falschen Palmen am Strand werden im Frühjahr erneuert, wenn die Muscheln aus dem Sand gesiebt werden. Wenn man reist, steckt man sein Geld an verschiedenen Stellen in verschiedene Kleidungsstücke, damit man bestechen kann und trotzdem sagen: Meine Geldtasche ist leer. Wenn wir überhaupt Geldtaschen tragen, denn man verliert sie so leicht, dann tragen wir nur Geld und verlieren stattdessen dieses. Wir kennen immer den Dollarkurs. Wir geben immer mehr aus, als wir verdienen. Und wir wissen, dass Nostalgie früher schöner war. Die Nächte sind lang und die Leben kurz. Wir weinen nur, wenn wir uns zufällig ins Auge geraucht haben. Wenn wir keinen Saft haben, trinken wir den Vodka mit Milch oder mit der billigsten zu findenden Limonade. Was nicht gut liegt, stecken wir in die Taschen oder lassen es weiter schlecht liegen. Wenn wir nichts zu trinken finden, verdünnen wir Spiritus. Wenn wir fallen, fängt uns der Boden auf. Wir gestehen uns nicht ein, wenn wir niemanden haben. Die Augen machen wir nicht zu, denn es wäre zu einfach, aber wir schauen auch nicht hin, wir schauen durch.
Alle steckten unter einer Decke, wenn es eine Decke gäbe, aber die Decke ist der Boden und wir im Keller.
Halb verdaute Nahrung liegt im toten Körper. Wir sprechen nicht in Rätseln, wir antworten in Rätseln. Gebete zum Himmel und Hausfassaden in den Boden. Es gibt kein Wir, wir können nicht beweisen, dass es ein Wir gibt. Wir suchen uns junge Frauen, die sich von uns das Leben erklären ließen, machten wir uns die Mühe, aber dann würden wir uns doch nur die Blöße geben: Besser wissen wir es auch nicht. Im Plastiktütenparadies. Die einzige Ewigkeit, die der Plastiktüten, feiern wir hier. Die Häuser zerfallen entlang der Baugerüste, die nur aufgebaut wurden, damit man nicht sieht, wie sie dahinter zerfallen. So eine elende Gemeinsamkeit sind wir, erinnern uns an Dinge, die wir nicht wissen können. Wir ersetzen die Wurzel aller Wörter mit Schwänzen und Fotzen, wenn wir uns freuen oder wir zornig sind, manchmal auch traurig. Die traurigen Schwänze unserer Sprache, die heulenden Fotzen. Geht zum Schwanz oder zur Fut mit euch, dann wird alles wieder schwanzig werden. Wir verbieten uns zu sagen, alles wird gut, wir sagen: my prorvjomsja, my prochujomsja – wir schlagen uns durch, wir schwänzeln uns durch. Das ist richtiger. Wir lassen die Teetassen zur Hälfte voll, trinken sie nicht aus, damit wir morgen noch wissen, dass wir am Vortag Tee getrunken haben. Wir haben keine Ängste, die nicht existenziell sind. Und wir haben Mut für alles, nur nicht für das Existenzielle. Wir stecken unsere Köpfe nicht in den Sand, wir werden mit Sand überschüttet, von den Oberen, den Mašories, den Reichen, hauptsächlich sind sie. Sie sind die Hauptsache, die Ameisenbären, und wir die Ameisen. Die Ukraine ist kein armes Land. Wir sagen nicht arm und wir werden jetzt nicht damit anfangen. In der Union war das alles noch natürlicher. Die Milchprodukte, das Fleisch, die Kartoffelchips und Kekse und Leute. Sich zu schminken braucht Zeit, sein Gesicht herzuräumen, zusammenzukleben viel mehr als kurz nach draußen zu gehen, wofür das Gesicht, das elende, überhaupt erst her musste. Hier, vor die Augen, in den Spiegel musste es. Wir altern hier so schnell man altern muss. Was sehen die unbescholtenen Westfratzen doch jung aus. Es gibt keine Geschichten, die fröhlich sind, und die Wunder, die wir erleben, sind blau und böse. Die Toten brauchen nichts zu fürchten als den Leichenschänder, und das Leben ist doch so viel beängstigender als der Tod, denn nach dem Tod gibt es nur mehr eine Überraschung und sei sie auch böse, im Leben gibt es deren viele. Sie sind beständig. Auf Scheiße ist Verlass. Nur nicht, dass sie den Körper auch wieder verlässt. Die Deadline
Weitere Kostenlose Bücher