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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordula Simon
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heller zu werden. Es gibt Nacht, Dämmerung und Küchenlicht. Nichts davon war ungefährlich. Unter Vladimir Iljičs Bett wollte sie nicht mehr. Sie entschied sich für das Bett seines Bruders und harrte aus. Als sie die Worte: »Folgen Sie mir nun bitte in den nächsten Raum«, anschließend an die Geschichte über den Tod eben dieses Bruders hörte, lugte sie unter dem Bett hervor und schloss sich unbemerkt der Gruppe an, auch davon, dass sie, aus Angst wahrgenommen zu werden, zitterte, nahm niemand Notiz. Sie verabschiedete sich höflich nach der Führung und machte sich die Leninstraße entlang auf den Weg, ein Café zu suchen, die »Obmolov«-Ausgabe neben ihrer kalten Wärmflasche in der Handtasche verstaut.
    Sie war an der frischen Luft, die Luft war warm und der Wind war mild. Dem Wind fehlte auch der salzige Geruch, den er in Odessa hatte. Sie würde in das Café Karl-Marx-Straße gehen. Es sei sehr schön, hatte die Vermieterin gemeint. Sie würde den Wolgawind auf dem Weg dorthin dennoch genießen, weit konnte es nicht sein. Wie adrett die Stadt wirkte, noch penibler als am gestrigen Tag, keine Baustellen in der Innenstadt, die alten Häuser bröckelten hier gar nicht. Nicht wie in Odessa, wo die alten, westeuropäisch anmutenden Fassaden aus der Zeit Jekaterinas durch Salzfraß an vielen Stellen kleine Monster bildeten. Dort würden sie gerade am Kathedralenplatz Schach spielen, doch nicht wie hier. Auf richtigen kleinen Schachbrettern, die die Pensionisten mitgebracht hatten. Oder Spiele mit Dominosteinchen auf den kleinen Tischlein, über denen eine schmiedeeiserne und gläserne Laube gebaut worden war. Hier lagen die Schachbretter überdimensional flach auf dem Boden und kleine Kinder trugen die ebenso zu groß geratenen Figuren umher, spielten Pferdchen mit den Springern. Verächtlich schüttelte sie sich, als könnte sie das, was sie hier an Frevelei empfand, abschütteln. Die Eltern ließen die Kinder gewähren. Vermutlich weil sie nicht wollten, dass sie schrien. Sie hätten ihnen auch Bälle hierher mitbringen können, zwischen Park und betonierten Flächen hätten sie sicherlich ihre erstaunliche Freude an so etwas Simpel-Dämlichem wie einem Ball ausgelebt und die Eltern hätten sich in der naiven Hoffnung wähnen können, dass die Motorik der Kinder sich dadurch verbessere. Eine Idee, die bei vielen ihre Wirkung völlig verfehlte. Eines von vielen ungehaltenen Versprechen, die Eltern sich selbst geben.
    Irina seufzte, schlurfte weiter, wenigstens waren auch hier die Straßen ein bisschen zerrissen, weniger zwar, aber doch. Wie verlogen war doch dieses zu glatte Bild einer Stadt, die sagte: Komm her, ich bin dein Traum, ich rette dich. Sie tastete nach »Oblomov« in der Tasche. Sie sah sich um. Wo befand es sich denn nun? Das Café Karl-Marx-Straße. Es hätte doch hier irgendwo sein müssen. Die Umgebung mit Blicken danach abtastend, drehte sie sich einmal vollständig herum, doch sie konnte es nicht sehen. Sie ging einige Schritte weiter, tastete nochmals nach »Oblomov«. Vielleicht sollte sie einfach stehen bleiben. Oder nach dem Weg fragen. Einige Schritte weiter leuchtete eine Ampel. Die Ampel schien ihr überdurchschnittlich lange gelb, und die Frau, die neben ihr auf das Überqueren der Straße wartete, zuckte nur die Schultern. Auch sie wisse den Weg zu Karl Marx nicht. Die Ampel hatte immer noch nicht geschaltet, aber sie und die Frau gingen los, denn da waren gerade keine Autos. Ob man sich auf dem Weg in die Unterwelt verlaufen könne? Sie entschied, in das erste Café zu gehen, das sie auf dem Weg, wohin auch immer, sehen würde. »Café Veteran«, las sie in blauen Lettern, auch das würde es tun. Sie setzte sich an eines der kleinen kantinenartigen Tischlein, mit dem Rücken zur Welt, zog »Oblomov« aus der Tasche und wartete auf die Bedienung.

XV
    Мы по колено в ваших голосах
А вы по плечи в наших волосах
Они по локоть в темных животах,
А я по шею в гибельных местах.
    Янка Дягилева
    Wir sind die Nachtstimmen aus dem Meeresrauschen und dem Blätterrascheln der Akazien, die Sirenen, die Russalken aus dem schmutzigen Schwarz der Häfen, das Münzklirren und -klingen ist unsere Stimme, das Schmatzen zwischen unseren Goldzähnen, die brennenden Pollen am Wegrand und die Hundescheiße, in die ihr tretet. Wir sind die Russalken, die bereits im Hafen auf betrunkene Ertrinkende in

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