Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)
Leichen der Jahrhunderte, zwischen den Jahren und dem Unkraut, zwischen den Pflichten der Väter, zwischen den Schüssen und Detonationen, zwischen Leere und zwischen zwei Minuten kann man es fertigbringen, vorbeizuschlüpfen. Hier wächst Verfaultes auf den Denkmälern. Die Bären verlassen den Wald nicht, um die Köter zu jagen. In die Stadt kommen sie gewiss nicht. In den Zeitungen nur Marginales, nichts Wahres dringt nach draußen. Wir stehen bis zu den Knien in euren Stimmen, bis zum Hals in euren Phrasen und bis über den Scheitel in euren Zeitungsblättern, in deren Schatten wir leben sollen. Eine andere Hand schwingt den Gürtel, den wir enger schnallen mussten. Wir haben aufgeschlagene Knie und kaputte Skelette unter den Häuten, die nicht von Fett geschützt werden. Nirgendwohin verschwinden, uns werden nur dreckige Wege zuteil. Wer wagt sich unter diesen Umständen noch hinaus? Es ist nicht sicher, die Hosen hinunterzulassen. Die Ampeln bleiben ewig gelb. Wer im Grab liegt, kann sich endlich drehen. Wo wir mit dem Rücken zur Wand stehen, ist ein Nagel eingeschlagen. Wer uns sieht, mag denken, dass wir arm seien, aber wir sagen es nie, wir sagen nie, wir sind arm, stattdessen sagen wir »unter Brježnjev war alles besser« oder »hätt ich doch Gorbačov erschlagen«, auch wenn wir nach ihrer Zeit geboren wurden, weil unsere Eltern sagten »unter Brježnjev war es noch gut« oder »lang lebe die Ukraine« und wir denken »lang lebe die Sowjetksij Sojuz«. Wir müssen nicht an Gott glauben, um uns vor einer Kirche dreimal zu bekreuzigen und erst recht nicht an den Teufel, um ihn von der Schulter zu spucken, wenn wir Böses vermeiden wollen. Wir tun es vor allem, wenn wir getrunken haben und wollen, dass andere es sehen, dass es noch etwas anderes geben muss als nur die Menschenwelt. Auch wenn es in der unsichtbaren Welt mehr Kakerlaken als Götter gibt. Mit fünfundzwanig zum dritten Mal verheiratet zu sein, bedeutet einfach, immer noch an die Liebe zu glauben, auch ein Schabennest und das Kind aus erster Ehe lässt uns keine Steuer für Kinderlosigkeit zahlen. Das Geld liegt auf der Straße, sagen wir, aber wir gehen nicht hinaus, um nachzusehen, wo. Wir machen uns Sorgen, wellen uns wie das Meer und beißen uns über Politik, die uns etwas anginge, hätten wir Geld, sie zu bezahlen. Im Suff haben wir alle eine gemeinsame Sprache, die kein Nüchterner versteht. Die dumme dekorierte Kuh vor dem Steakhaus ist das dumme europäische Gehabe. Den ganzen Sommer warten wir, tunken unsere Shirts in die Springbrunnen, in die öffentlichen Fontänen, die nach fünf Minuten wieder trocknen, warten, dass das Meer einfriert und es wird, wie unsere Bankkonten, falls wir diese nicht längst vergessen haben. Der Meereswind kommt uns gelegen, fährt uns übers Gesicht und geht uns auf die Nerven. Wir zitieren Lermontov, wenn wir jemanden von der Bettkante stoßen, und treffen wir Tote, behandeln wir sie wie Lebendige, treffen wir Lebende, fragen wir uns, wann sie denn sterben. Wir lesen die Bedeutung der Tätowierungen der Gopniki, wir sind die Bedeutung der Bilder. Wir spucken die Schalen der Sonnenblumenkerne auf die Straßen, wo die Vögel enttäuscht darüber sind, nur leere Hüllen zu finden. Wir nehmen jede Arbeit und lassen sie wieder liegen. Wir schreiben Lieder und spielen Musik, ohne zu wissen, wie. Die französischen Cafés sind nicht für uns, sie sind für die Fremden, die noch kommen, obwohl der Vergnügungspark zerstört und aufgelassen ist, seine Schiffe aufgelaufen, die Schwäne zerfressen und die Häuschen verrostet in dem Gewucher der Böschungen über dem Strand. Russkij Disneyland. Die Süßigkeitengeschäfte liegen immer auf unserem Weg und wir füttern einander mit Keksen, deren Rezepte noch vor Brježnjev geschrieben wurden. Die Feiertage sind willkommene Wunden, klaffende, zwischen den Arbeitstagen, und wenn sie vorbei sind, sind wir pleite. Noch nicht und nicht mehr bedeuten dann das gleiche. Wir wissen, dass es im Westen nichts Neues gibt. Wenn man einen Kakerlak enthauptet, kann er noch zwei Wochen leben, bevor er verhungert, und wir machen uns nicht einmal die Mühe. Die wahre Unsterblichkeit haben wir nicht zu sehen bekommen. Wir werden Geschichten sein, in Büchern von Ameisen geschrieben. Der Tee ist fertig, wenn die Blätter in der Tasse zu Boden gesunken sind. Früher brachten die Ausländer Bäume mit in die Stadt, gründeten so ihre Boulevards, ihre Alleen, heute bringen sie Geld, doch
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