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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordula Simon
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hatte. Doch Čelobaka war gerade zugange, eine Hündin zu begatten. Für einen Fick lässt er mich also allein, dachte Anatol, na, soll er halt zum Teufel gehen. Halb neidisch, halb verärgert, aber auch ein bisschen stolz auf Čelobaka war Anatol. Der einzige Straßenhund, der ohne Rudel durch die Stadt streunte. Zu menschlich offenbar, aber für den hündischen Fick noch zu haben. Allzu menschlich. Schnell stieg Anatol ein, noch bevor er ganz zu Ende überlegt hatte, dass es so vermutlich einfacher war. Und er wusste ja auch gar nicht, wie er sich das vorgestellt hatte. Dass sie so ein dreckiges Vieh wie ihn mitnahmen, so einen Polygraf Polygrafovič, war ja schon eine Zumutung, aber auch noch den Hund! Er würde allein reisen müssen, begriff er endlich und war nicht sicher, wie er alles ohne Beistand des Hundes bewerkstelligen könnte. Kiev war zu groß für einen allein. Odessa war es gewöhnlich nicht, nur dieser Tage. Die Odessa-Mama war über ihn hinausgewachsen. Dabei schrumpften doch üblicherweise die Eltern, während die Kinder noch wuchsen. Von Vater Staat zum Beispiel hatte der Nationalismus ein großes Stück abgebissen.
    Der Fahrer sah Anatol an, griff in ein kleines Fach, wo ein Radio sein sollte, hielt Anatol die Zigarettenpackung hin, Milde lag in dem Blick. Anatol hatte gerade erst gelernt, dass Mitleid etwas Gutes war. Der Wind nahm ihm fast den Atem, als er aus dem wenig geöffneten Fenster rauchte, fuhr ihm durch die Haare, wie ein kalter Kamm, seine ungekämmten Haare schienen ihm kühl und weich. Der Weg war markiert mit alten Plakatwänden, von denen das Wetter die Bilder geleckt hatte. Dunkel war es und bildlos – so lange hatte er an der Trasse warten müssen, dass die Finsternis schon wieder zurückgekehrt war. Die Straßen waren so gedehnt, dass man meinen konnte, sie seien gerade und die Lampen am Wegrand bildeten einen Lichterbogen, gerade über ihnen, obwohl sie neben der Strecke platziert waren. Man konnte glauben, dass die anderen Autos sich nicht bewegten. Als lebten die ganze Strecke entlang keine Menschen, nur Tankstellen und kleine Märkte für die Fernfahrer gab es. Nach etwa drei Stunden hielten sie, der Fahrer kaufte neue Zigaretten und eine kleine Flasche Cola. Anatol wartete auf einer kleinen Holzbank vor den Marktständen, die bis auf zwei geschlossen hatten, wo augenlose Fische erhängt und geräuchert zu Mobiles arrangiert waren, die Holzbank, auf der er saß, trug noch die Wärme eines fremden Hinterns. Ob er denn Gitarre spielen könne, fragte der Fahrer bald, denn sein Radio war gestohlen worden und ohne Musik hatte er Angst, einzuschlafen. Die Colaflasche hatte er bereits geleert. Anatol hatte danach gelechzt, doch so weit reichte das Mitleid nicht. Und Anatol griff, wie der Fahrer es verlangte, die Gitarre auf dem Rücksitz. Schlug auf ihre Saiten ein und sah dem Fahrer an, dass er kaum glauben konnte, dass diese dunkle Stimme aus dieser schmalen Brust kam. Der Text aber, den Anatol sang – der Mann hatte sich Zojs »Ein Stern namens Sonne« gewünscht –, wies Lücken auf, obwohl Anatol dieses Lied doch kannte, den Text kannte, diese Musik so oft und lang gehört hatte, totgehört hatte. Doch der Text klang nicht wie bei dem Straßenmusiker in der Unterführung zur Deribasovskaja. Er solle es besser sein lassen, sagte der andere, lächelte spöttisch und Anatol konzentrierte sich daher auf die Halbkugeln, Monde, die Pfeile, die den Autos die Richtung auf der Straße anzeigten wie Sterne, Sternschnuppen oder Irrlichter. Nordlichter, die zeigten, da muss Kiev sein.
    An einem Haus am Bahnhof namens Los Anželes hielten sie. Die Morgendämmerung begann bereits. Sie hatten sich einander nicht einmal vorgestellt und verabschiedeten sich mit einem stummen Nicken. Als wäre jeder für sich alleine gereist. Anatol schlich langsam in die Bahnhofshalle, ein Gebäude einer Kirche gleich. Anatol hatte den Eingang zur Metro gewählt und erst als er über den Bahnhofsvorplatz ging wieder daran gedacht, dass er ohne Geld auch keine kleinen blauen Jetons kaufen konnte, um hinunterzugelangen. Er würde zu Fuß gehen müssen, abermals. Am Boden war er schließlich schon, und vor ihm ein toter Regenbogen in der Ölpfütze, er musste keine hundertzwanzig Meter tiefer, er musste nur weiter. Hier hatte er vermutlich kein Glück, unter den Schnorrern vor der U-Bahn, in der zu weiten fremden Kleidung, die er trug, eine Fahrt zu erbetteln, und ohne sich vor zu schnellen Autos und aus den

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