Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)
Fässern und Pfützen warten.
Nachts sind alle Kakerlaken grau. Nachts glauben wir nicht an die Tage – man muss glauben, was man sieht, nachts glauben wir nicht an Bienen und Blüten, nur an ihren Staub, an die flammenden Pollen, die wir selbst entzünden am Wegrand, daran, wie Beatniks im Gras zu schlafen, das uns an den Nasen juckt und unsere Rücken kühl und feucht hält. Wir sehen den metallenen Hafen bei Nacht leuchten statt einem Sternenhimmel, man kann ihnen nicht trauen, nicht den Sternen, den Wunderpunkten, nicht den Menschen, nur der kühlen Luft, von der man hofft, dass sie noch lange für uns da sein wird, doch schließlich quält sich doch die Sonne aus dem Meeresspiegel hoch – geht durch den Spiegel. Treibt uns in dunkle, urinstinkende Treppenhäuser zurück in die belaubten Gänge hinter zerbrochenen Fenstern, zwischen Ästen und Ameisen atmen wir erleichtert auf, ihrem spöttisch-grellen Grinsen entgangen zu sein. Der Wind zupft am Klebeband, das die wenigen heilen Fenster geschlossen hält. Wir sprechen nicht darüber, denn da war nichts, und selbst wenn etwas gewesen wäre, hätten wir die Münder nicht auftun können, außer um einen sozialistischen Dienst zu erweisen, dem einen oder anderen. Wir haben nicht nur vergessen, welchen Wochentag wir haben, auch welches Jahr und wie viele wir derer selbst zählen. Einfacher ist es so. Wir haben mehr Angst, uns zu vermehren, wie die Schaben, Kriechtiere, vor dem ewigen Leben, vor der biologischen Transzendenz, als vor dem Tod, bis wir bei ihm ankommen. Ein Lachen, weit entfernt, das sind wir. Die Tische wackeln unter unseren Bewegungen, so sehr wir auch versuchen, die Tischbeine mit dem Druck unserer Füße gerade zu halten.
Wir kämpfen sitzend, streiten über Politik, die bezahlt ist, weswegen sie uns nichts angeht. Und über Miss Ukraine, die auch bezahlt ist, um zu sagen, sie warte mit dem Sex bis zur Ehe, an jeder Uni. Die Eiswürfel schmelzen in den Kellerlokalen langsamer als in den Gastgärten an der Oberfläche – nur in den Kellern ist man sicher vor den Armeen der Touristen, die in Armaden über das Schwarze Meer kommen. Deren befremdliche Worte wir nicht zu uns dringen lassen wollen. Wie Hirsche röhren wir, mit jedem Vodka, als wäre schon Brunft und die elenden Sommer zu Ende, in denen wir aufschreiben lassen müssen, weil die Geldautomaten unsere Karten fressen als wären es Suchariki. Ihr täglich Brot, ihr Plastikbrot. Wir haben keine Geduld und kein Papier, nur Zeit, die ohne beides den Wert eingebüßt hat, und wir wissen davon. Wir sagen noch immer Rubel, auch wenn wir den Rubel hier nicht mehr erlebt haben und wissen, dass es Grivna sind.
Wir trinken schnell, als wären wir in Eile, als müssten wir gleich gehen, doch wir sitzen, als warteten wir auf jemanden. Auf jemandes Tod. Oder auf unseren eigenen, doch wir sprechen von keinem der beiden. Die Tropfen auf der Tischplatte wagen wir nicht aufzulecken, nicht, weil die Tische schmutzig sind, sondern weil uns die Tropfen gleich geworden sind und wir sie wie herbeigewünschten Regen ansehen, wie sich das Licht in ihnen das Genick bricht. Und wir haben aufgehört, auf nassen Dächern Liebe zu machen, weil wir sprach- und körperlos sind.
Zurück in die Häuser, deren Treppenhausskelette man durch die zerbrochenen Fenster sehen kann, wo der Tod wohnt, so wie wir. In dieser Stadt brennt Licht hinter Fassaden, die kein Gebäude bergen. Die Häuser stürzen ein, ihren Kuppeln fallen in sich zusammen, wie unsere Köpfe. Wir dachten, wir bräuchten keine Werte, solange uns die Worte blieben. Oder umgekehrt. Doch lange saßen sie nicht mit uns am Tisch. Wir können auf die Täuschung nicht verzichten.
Wir sind so zerbrechlich, dass unser eigener Atem uns zerschmettert. Und wir wünschen uns, dass es uns nur einen Tag leichtfällt, das Atmen. Und doch sind wir zu zäh, um damit aufzuhören. Die Stadt ist winzig geworden, gefüllt mit leeren Häusern, denn alles starb und floh. Nachts, wenn alle Kakerlaken unsichtbar waren. Die Kondome sind heute noch teuer und über das Herz passt kein Präservativ. Wir nähmen uns die freie Wahl, in oder zwischen den Käfigen zu leben, könnten wir den Unterschied erkennen.
Das Rascheln der Kakerlaken ist deutlicher zu hören, wenn man alleine schläft, in der Dunkelheit ist es schwer zu sagen, welches Muster die Betttücher tragen. Vom Sterben muss man nicht schreiben, vom Sterben schreibt es sich von allein.
Zwischen den Zäunen, zwischen den
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