Der Präsident
Langsam kam der Mann wieder zu sich. Russell spähte auf die Uhr. Zwei Uhr morgens. Sie mussten zurückfahren. Sie schlug ihn ins Gesicht, zwar nicht fest, aber doch hart genug, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Dabei bemerkte sie, wie Collin zusammenzuckte. Gott, diese Kerle waren so einfältig.
»Alan, hast du Sex mit ihr gehabt?«
»Was ...«
»Hast du Sex mit ihr gehabt?«
»Was ... nein. Glaub’ ich nicht. Weiß nicht ...«
»Geben Sie ihm noch mehr Kaffee, mit Gewalt, wenn es sein muss, aber machen Sie ihn nüchtern!« Collin nickte und tat, wie ihm geheißen.
Russell ging zu Burton, der mit behandschuhten Händen sorgfältig jeden Fingerbreit der verblichenen Mrs. Sullivan untersuchte.
Burton war bei zahlreichen Polizeiermittlungen dabei gewesen. Er wusste ganz genau, wonach Polizeibeamte suchten und wo sie danach suchten. Nie hätte er sich träumen lassen, dieses besondere Wissen einmal einsetzen zu müssen, um Ermittlungen zu behindern; aber schließlich hätte er sich auch nie träumen lassen, dass er in eine derartige Lage schlittern konnte.
Er sah sich im Zimmer um und überlegte, welche Bereiche er noch bearbeiten musste, welche anderen Räume sie benutzt hatten. Gegen die Male am Hals der Frau konnten sie nichts unternehmen, ebenso wenig gegen andere mikroskopisch kleine Beweise, die sich zweifellos in ihrer Haut finden würden. Der Gerichtsmediziner würde sie aufspüren, ganz gleich, was sie versuchten. Aber realistisch betrachtet, konnte keiner dieser Beweise in Richtung des Präsidenten zurückverfolgt werden, sofern die Polizei ihn nicht als Verdächtigen betrachtete. Das jedoch lag weit jenseits des Denkbaren.
Einen Zusammenhang zwischen der versuchten Strangulierung einer zierlichen Frau und dem tatsächlichen Tod durch Kugeln herzustellen blieb der Vorstellungskraft der Polizei überlassen.
Burton wandte sich wieder der Leiche zu und begann vorsichtig, ihr das Unterhöschen über die Beine zu streifen. Er spürte, wie ihm jemand auf die Schulter klopfte.
»Sehen Sie nach!«
Burton blickte nach oben. Er wollte etwas erwidern.
»Sie sollen nachsehen!« Russell zog die Augenbrauen hoch. Schon Tausende Male hatte Burton gesehen, wie sie mit dem Stab des Weißen Hauses so verfahren war. Alle hatten höllischen Respekt vor ihr. Zwar hatte er selber keine Angst, doch er war klug genug, sich zurückzuhalten, wenn sie anwesend war. Zögernd tat er, was ihm befohlen wurde. Dann legte er den Körper wieder genauso hin, wie er gefallen war. Er teilte Russell seine Erkenntnisse durch ein einziges Kopfschütteln mit.
»Sind Sie sicher?« Russell wirkte nicht überzeugt, obwohl sie durch ihr Zwischenspiel mit dem Präsidenten wusste, dass er höchstwahrscheinlich keinen Verkehr mit der Frau gehabt oder den Akt zumindest nicht vollendet hatte. Aber es könnten Spuren zurückgeblieben sein. Was man heutzutage aus den geringsten Samenspuren ablesen konnte, war einfach teuflisch.
»Verdammt noch mal, ich bin kein Frauenarzt. Ich habe nichts gefunden, und ich glaube, das hätte ich, aber ich trage nicht ständig ein Mikroskop mit mir herum.«
Russell musste es dabei bewenden lassen. Es gab noch soviel zu tun und nur wenig Zeit dafür.
»Haben Johnson und Varney etwas gesagt?«
Collin blickte herüber. Er saß noch neben dem Präsidenten, der gerade die vierte Tasse Kaffee hinunterspülte. »Sie fragen sich natürlich, was hier los ist, wenn Sie das meinen.«
»Sie haben doch nicht ...«
»Ich habe ihnen gesagt, was Sie angeordnet haben, mehr nicht, Ma’am.« Er sah sie an. »Das sind gute Männer, Ms. Russell. Sie sind seit dem Wahlkampf beim Präsidenten und werden keine Probleme machen, okay?«
Russell belohnte Collin mit einem Lächeln. Ein gutaussehender Junge. Und, was viel wichtiger war, ein loyales Mitglied des persönlichen Stabs des Präsidenten. Collin würde ihr sehr nützlich sein. Burton konnte ein Problem werden. Er war älter, weiser, und Russell hielt ihn für einen Klugscheißer. Aber sie hatte einen starken Trumpf. Er und Collin hatten abgedrückt, vielleicht in Ausübung ihrer Pflicht, aber wer konnte das schon so genau sagen? Auf jeden Fall steckten die beiden bis zum Hals mit in der Sache drin.
Luther beobachtete das Treiben mit einer Hochachtung, die ihm unter den gegebenen Umständen geradezu Schuldgefühle bereitete. Diese Männer waren gut; sie gingen methodisch und gewissenhaft vor und übersahen nichts. Qualifizierte Gesetzeshüter und professionelle Verbrecher
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