Der Prediger von Fjällbacka
hätte er nicht in einem Polizeiwagen gesessen, wären im Rückspiegel bestimmt eine Menge Stinkefinger zu sehen gewesen. Jetzt sollten sie es sich nur erlauben, diese Scheiß-Touris, dann würden sie was erleben.
Die Nachbarn befragen. Das war eine Aufgabe für einen Polizeianwärter, nicht für einen Mann mit fünfundzwanzigjähriger Berufserfahrung. Das hätte ja wohl dieser Grünschnabel Martin machen können, dann hätte er, Ernst, in den umliegenden Ämtern anrufen und mit den Kollegen ein Weilchen plaudern können.
Er kochte förmlich, aber das war schon von Kindheit an sein natürlicher Gemütszustand, also irgendwie nichts, was über das Normale hinausging. Diese cholerische Veranlagung machte ihn für einen Beruf, der so viele soziale Kontakte mit sich brachte, nicht besonders geeignet, aber andererseits konnte er sich bei dem Gesindel Respekt verschaffen, da es instinktiv spürte, daß man sich, falls einem die eigene Gesundheit lieb war, mit diesem Ernst Lundgren nicht anlegen sollte.
Als er durch den Ort fuhr, wurden überall die Hälse gereckt. Man folgte ihm mit dem Blick und wies mit dem Finger auf den Wagen, und er verstand, daß sich die Neuigkeit schon in ganz Fjällbacka verbreitet hatte. Über den Ingrid-Bergman-Platz mußte er wegen all den unerlaubt geparkten Autos im Schneckentempo fahren, und er bemerkte zu seiner Zufriedenheit, daß sein Auftauchen zu einer Reihe überstürzter Aufbrüche aus dem Gartenrestaurant des Cafe Bryggan führte. Das war auch besser so. Standen die Autos noch da, wenn er zurückkam, hatte er nichts dagegen, ein Stündchen dafür aufzubringen, den Falschparkern den Urlaubsfrieden zu verderben. Er würde sie vielleicht ein bißchen ins Röhrchen pusten lassen. Mehrere von ihnen hatten bei einem kalten Bier gesessen, als er an ihnen vorbeigefahren war. Wenn er Glück hatte, konnte er vielleicht ein paar Fahrerlaubnisse einziehen.
Es war kaum Platz zum Parken auf dem kleinen Straßenstück vor der Königsschlucht, aber er klemmte sich irgendwo dazwischen und begann mit seiner Befragung. Wie erwartet, hatte niemand etwas gesehen. Leute, die normalerweise sogar registrierten, wenn der Nachbar in den eigenen vier Wänden einen Furz ließ, wurden blind und taub, wenn die Polizei auftauchte. Ernst mußte allerdings zugeben, daß sie vielleicht tatsächlich nichts gehört hatten. Im Sommer war der Geräuschpegel in der Nacht, wenn all die betrunkenen Leute gegen Morgen nach Hause wanderten, so hoch, daß man gelernt hatte, die Geräusche vor der Tür auszublenden, um seinen guten Nachtschlaf zu behalten. Aber verflixt irritierend war es schon.
Erst im letzten Haus hatte er Glück. Es war zwar kein großer Fang, aber immerhin etwas. Der Alte in dem Haus, das am weitesten vom Eingang der Schlucht entfernt lag, hatte gegen drei ein Auto kommen hören, als er aufgestanden war, um sein Wasser abzuschlagen. Er konnte die Zeit sogar auf Viertel vor drei präzisieren, aber er hatte sich nicht die Mühe gemacht, aus dem Fenster zu sehen, also vermochte er nichts über das Aussehen des Fahrers oder des Wagens zu sagen. Aber da er ein alter Fahrschullehrer war, der in seinem Leben so manches Lenkrad in den Händen gehalten hatte, war er sich völlig sicher, daß es kein neueres Modell gewesen war; vermutlich hatte es schon ein paar Jahre auf dem Buckel.
Großartig, das einzige, was er nach zwei Stunden Befragung erfahren hatte, war, daß der Mörder die Leiche mit größter Wahrscheinlichkeit gegen drei Uhr hergefahren hatte und daß er eventuell ein Auto älteren Typs fuhr. Damit konnte man nicht gerade Staat machen.
Seine Stimmung verbesserte sich jedoch um einiges, als er auf dem Rückweg ins Revier wieder an dem Platz vorbeikam und feststellen konnte, daß neue Parksünder die vorigen abgelöst hatten. Jetzt würde er sie hier ins Röhrchen blasen lassen, daß die Lungen nur so flatterten.
Ein anhaltendes Klingeln an der Tür unterbrach Erica, die sich gerade mühsam mit dem Staubsauger durchs Haus arbeitete. Der Schweiß rann in Strömen an ihr herunter, und sie strich sich ein paar feuchte Haarsträhnen aus dem Gesicht, bevor sie die Tür öffnete. Sie mußten wie Autodiebe über die Straßen gefegt sein, um jetzt schon hierzusein.
»Tagchen, Dicke!«
Er umarmte sie mit festem Griff, und sie fühlte, daß nicht nur sie schwitzte. Mit der Nase tief in Connys Achselhöhle verankert, begriff sie, daß sie, im Vergleich zu ihm, wahrscheinlich nach Rosen und Maiglöckchen
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