Der Prediger von Fjällbacka
Schon als Patrik ihn auf dem Handy angerufen und ihn mit granitener Stimme beordert hatte, umgehend im Revier zu erscheinen, ahnte er, daß Gefahr im Verzug war. Er durchpflügte sein Gedächtnis, um auf etwas zu kommen, bei dem man ihn ertappt haben konnte, aber er mußte einsehen, daß die Auswahl ein bißchen zu groß war, als daß er eine zutreffende Vermutung hätte anstellen können. Er war ja de facto ein Meister der Verkürzung und hatte Stümperei zu einer eigenen Kunstart erhoben.
»Setz dich.«
Folgsam gehorchte er Patriks Befehl und setzte eine trotzige Miene zum Schutz gegen den herannahenden Sturm auf.
»Was ist denn so wahnsinnig dringend? ich habe mitten in einer Sache gesteckt, und nur weil man dir momentan die Verantwortung für eine Ermittlung übertragen hat, kannst du mich nicht einfach so herdiktieren.«
Angriff war die beste Verteidigung, aber nach Patriks immer düsterer werdendem Gesichtsausdruck zu urteilen, war das in diesem Fall der völlig falsche Weg.
»Hast du vor einer Woche eine Vermißtenanzeige entgegengenommen. Eine deutsche Touristin war verschwunden?«
Scheiße. Die Sache hatte er vergessen. Das kleine blonde Mädel war direkt vor der Mittagspause erschienen, und er hatte sie nur möglichst schnell loswerden wollen, um es noch zum Essen zu schaffen. Es war doch nie was dran an diesen Berichten über verschwundene Freunde und Freundinnen. Meist lagen sie stinkbesoffen irgendwo im Straßengraben, oder sie waren zu irgendeinem Jüngling mit nach Hause gegangen. Verdammt auch. Für diese Sache würde er büßen müssen, das war ihm klar. Wieso hatte er das aber auch nicht mit dieser Frau, die sie gestern gefunden haben, in Verbindung gebracht? Ja, hinterher ist man immer klüger. Nun kam es darauf an, den Schaden möglichst gering zu halten.
»Ja doch, das habe ich wohl.«
»Habe ich wohl!« Patriks normalerweise so ruhige Stimme dröhnte donnergleich durch den Raum. »Entweder hast du eine Anzeige aufgenommen, oder du hast es nicht. Es gibt nichts dazwischen. Und wenn du also eine Anzeige aufgenommen hast, wo verdammt ist sie geblieben?« Patrik war so wütend, daß er über die Worte stolperte. »Begreifst du, was das für die Ermittlung an Zeitverlust bedeuten kann?«
»Ja, ist klar, das war nicht sehr glücklich, aber wie hätte ich wissen sollen .«
»Du sollst nichts wissen, du sollst nur deine Arbeit machen! Ich hoffe, daß ich so was nicht noch mal erleben muß. Und jetzt haben wir wertvolle Stunden aufzuholen.«
»Kann ich da was tun .« Ernst ließ seine Stimme so untertänig klingen, wie es ihm nur möglich war, und er setzte ein äußerst reuevolles Gesicht auf. Im Inneren spuckte er Gift und Galle, weil ihn ein Rotzbengel derart herunterputzen durfte, aber da Hedström nun mal bei Mellberg ein offenes Ohr zu finden schien, wäre es dumm, die eigene Situation noch weiter zu verschlimmern.
»Du hast bereits genug getan. Martin und ich werden die Ermittlung weiterführen. Du wirst dich um die eingehenden Angelegenheiten kümmern. Wir haben eine Anzeige über einen Hauseinbruch in Skeppstad erhalten. Ich habe mit Mellberg gesprochen, und der hat es abgesegnet, daß du das allein erledigst.«
Als Zeichen, daß das Gespräch beendet war, drehte Patrik seinem Kollegen den Rücken zu und begann auf die Tasten einzuhämmern.
Brummelnd zog Ernst ab. Es war ja wohl nicht so wahnsinnig schlimm, mal einen einzigen kleinen Bericht nicht zu schreiben. Bei passender Gelegenheit würde er mit Mellberg reden, ob es wirklich günstig war, daß jemand mit so labilem Temperament verantwortlich für eine Morduntersuchung war. Ja, verdammt, das würde er wirklich tun.
An dem pickligen Jüngling vor ihm ließ sich studieren, was Lethargie war. An dessen Gesichtszügen konnte man Hoffnungslosigkeit ablesen, denn von Kindesbeinen an war ihm die Sinnlosigkeit des Lebens eingeprügelt worden. Jacob erkannte die Zeichen sehr wohl wieder, und er konnte nicht anders, als darin eine Herausforderung zu sehen. Er wußte, daß es in seiner Macht stand, dem Leben des Jungen eine ganz andere Wendung zu geben, und wie gut ihm das gelingen würde, hing allein davon ab, ob der Junge selbst irgendwie den Wunsch verspürte, auf den richtigen Weg gedrängt zu werden.
In ihrer Glaubensgemeinschaft war Jacobs Arbeit mit den Jugendlichen gut bekannt und respektiert. Groß war die Zahl der gebrochenen Seelen, die er unter seinem Dach aufgenommen hatte, um sie dann später als produktive Mitglieder
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