Der Prediger von Fjällbacka
in dem feinen Gutshaus sitzen, und du würdest mit Onkel Gabriel und Tante Laine in unserer Hütte hocken.«
»Ja, das wäre vielleicht ein Anblick gewesen: Mama auf dem Altenteil in der Hütte. Arm wie eine Kirchenmaus.«
Linda legte den Kopf zurück und lachte schallend, so daß Johan sie beschwichtigen mußte, damit man sie nicht bis zu Jacobs und Maritas Haus hörte, das nur einen Steinwurf entfernt lag.
»Vielleicht würde Vater dann heute noch leben. Und Mutter würde sich nicht von früh bis spät mit ihren verdammten Fotoalben beschäftigen.«
»Es war ja nicht wegen Geld, daß er .«
»Wie kannst du das wissen. Was, zum Teufel, weißt du denn, warum er es gemacht hat!« Seine Stimme rutschte eine Oktave höher und wurde schrill.
»Das wissen doch wohl alle.«
Linda gefiel es nicht, daß ihre Unterhaltung eine solche Wende genommen hatte, und sie wagte es nicht, Johan in die Augen zu blicken. Die Familienfehde und alles, was damit zusammenhing, war bisher stillschweigend tabu gewesen.
»Alle glauben, daß sie es wissen, aber niemand weiß auch nur das geringste. Und dann dein Bruder, der auf unserem Hof wohnt, das ist wirklich das allerbeschissenste!«
»Jacob ist doch nicht schuld daran, daß es so ist, wie es ist.«
Es war ein merkwürdiges Gefühl, den Bruder zu verteidigen, den sie so oft mit Beschimpfungen überhäufte, aber Blut war eben dicker als Wasser. »Er hat den Hof von Großvater bekommen, und übrigens ist er immer der erste gewesen, der Johannes verteidigt hat.«
Johan wußte, daß sie recht hatte, und die Wut legte sich wieder. Es tat nur manchmal so verdammt weh, wenn Linda über ihre Familie sprach, weil es ihn daran erinnerte, was er selbst verloren hatte. Er wagte nicht, ihr das zu sagen, aber oft fand er, daß sie ziemlich undankbar war. Sie und ihre Sippe hatten alles, und seine eigene Familie hatte nichts. Wo blieb da die Gerechtigkeit?
Zugleich sah er ihr alles nach. Er hatte noch nie jemanden so heiß geliebt, und allein der Anblick ihres schlanken Körpers brachte ihn in Wallung. Manchmal konnte er nicht glauben, daß es wahr war. Daß ein solcher Engel seine Zeit mit ihm vergeudete. Aber er wollte sein Glück nicht in Frage stellen. Statt dessen versuchte er die Augen vor der Zukunft zu verschließen und die Gegenwart zu genießen. Jetzt zog er sie näher an sich und machte die Augen zu, während er den Duft ihres Haares einsog. Er nestelte an dem obersten Hosenknopf ihrer Jeans, aber sie hielt ihn zurück.
»Ich kann nicht, ich hab’ meine Tage. Laß mich statt dessen .«
Sie knöpfte seine Hose auf, und er legte sich auf den Rücken. Hinter seinen geschlossenen Augen flimmerte der Himmel.
Es war erst einen Tag her, daß sie die tote Frau gefunden hatten, aber die Ungeduld setzte Patrik bereits zu. Irgendwo saß jemand und fragte sich, wo sie geblieben war. Überlegte, machte sich Sorgen, ließ die Gedanken in immer angstvolleren Bahnen kreisen. Und das furchtbare war, daß sich in diesem Fall selbst die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet hatten. Um alles in der Welt wollte er herausfinden, wer die Frau war, um denen Bescheid geben zu können, die sie liebten. Nichts war schlimmer als die Ungewißheit, nicht einmal der Tod. Die Trauerarbeit konnte nicht beginnen, bevor man wußte, was man betrauerte. Es würde nicht einfach sein, die Nachricht zu überbringen, doch Patrik hatte sich der Verantwortung im stillen bereits gestellt, denn er wußte, daß sie ein wichtiger Teil seiner Arbeit war. Die Angehörigen hatten ein Recht darauf - doch vor allen Dingen war er ihnen die Aufklärung dieses schreckliches Mordes schuldig.
Daß Martin gestern zu keinem Ergebnis gekommen war, erschwerte die Identifizierungsarbeit um ein vielfaches. Die Frau war nirgendwo im näheren Umfeld als vermißt gemeldet, und dadurch mußte die Suche auf ganz Schweden ausgedehnt werden, vielleicht sogar auf das Ausland. Einen Moment lang hielt er diese Aufgabe für undurchführbar, aber diesen Gedanken verjagte er gleich wieder.
Martin klopfte diskret an die Tür. »Wie soll ich jetzt weitermachen? Wollen wir den Suchbereich ausdehnen oder mit den Großstädten anfangen oder .?« Er hob fragend die Augenbrauen und die Schultern.
Patrik spürte mit einemmal das Gewicht der Verantwortung. Eigentlich gab es nichts, was in eine von beiden Richtungen wies, aber irgendwo mußten sie ja anfangen.
»Überprüfe die Großstädte. Göteborg ist ja schon erledigt, also nimm dir als nächstes
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