Der Prediger von Fjällbacka
Stockholm und Malmö vor. Wir müßten bald den ersten Bericht von der Gerichtsmedizin erhalten, und wenn wir Glück haben, dann haben sie vielleicht was Brauchbares für uns.«
»Okay.« Martin schlug beim Hinausgehen mit der Hand gegen die Tür und begab sich zu seinem Zimmer. Ein schrilles Klingeln von der Rezeption ließ ihn auf dem Absatz kehrtmachen und zum Eingang gehen, um den Besucher einzulassen. Normalerweise war das Annikas Aufgabe, aber während ihrer Abwesenheit mußten sie sich einfach gegenseitig unterstützen.
Das Mädchen sah beunruhigt aus. Sie war zart, hatte zwei lange blonde Zöpfe und einen enormen Rucksack auf dem Rücken.
»I want to speak to someone in charge.«
Ihr Englisch hatte einen starken Akzent, der darauf schließen ließ, daß sie Deutsche war. Martin öffnete die Tür und bedeutete ihr hereinzukommen. Er rief in den Korridor: »Patrik, du hast Besuch.«
Zu spät dachte er daran, daß er sich vielleicht zuerst nach ihrem Anliegen hätte erkundigen sollen, aber Patrik hatte bereits den Kopf aus der Tür gesteckt, und das Mädchen war zu seinem Zimmer unterwegs.
»Are you the man in charge?«
Einen Augenblick lang war Patrik versucht, sie zu Mellberg zu schicken, der ja rein technisch der Chef war, aber er überlegte es sich anders, als er ihren verzweifelten Gesichtsausdruck sah, und beschloß, ihr dieses Erlebnis zu ersparen. Ein hübsches Mädchen an Mellberg weiterzureichen war so, als würde man ein Schaf zur Schlachtbank führen; sein natürlicher Beschützerinstinkt hielt ihn davon ab.
»Yes, how can I help you?«
Er gab ihr durch eine Handbewegung zu verstehen, sie möge eintreten und auf dem Stuhl vor seinem Schreibtisch Platz nehmen. Mit überraschender Mühelosigkeit streifte sie den gewaltigen Rucksack ab und lehnte ihn vorsichtig neben der Tür gegen die Wand.
»My English is very bad. You speak German?«
Patrik dachte an seine alten Schulkenntnisse. Die Antwort hing ganz davon ab, was sie unter »speak German« verstand. Er konnte ein Bier bestellen und um die Rechnung bitten, aber er fürchtete, daß sie nicht als Serviererin hergekommen war.
»Wenig deutsch nur spreche«, antwortete er holprig, und seine vage Handbewegung unterstrich das Gesagte.
Sie schien zufrieden mit dem Bescheid und sprach langsam und deutlich, um ihm die Chance zu geben, alles zu verstehen, was sie sagte. Zu seiner Verwunderung bemerkte Patrik, daß er mehr mitbekam, als er zuerst geglaubt hatte, und selbst wenn er nicht jedes Wort verstand, begriff er den Zusammenhang.
Sie stellte sich als Liese Forster vor. Offenbar war sie vor einer Woche schon mal hier gewesen und hatte ihre Freundin Tanja als vermißt gemeldet. Sie hatte hier im Revier mit einem Polizisten gesprochen und den Bescheid erhalten, daß er sich bei ihr melden würde, wenn er mehr wüßte. Jetzt hatte sie eine ganze Woche gewartet und noch immer nichts gehört. Die Sorge stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben, und Patrik nahm das, was sie erzählte, äußerst ernst.
Tanja und Liese hatten sich im Zug nach Schweden getroffen. Sie stammten beide aus Norddeutschland, kannten sich vorher aber nicht. Sie hatten sich sofort gut verstanden, und Liese sagte, daß sie wie Schwestern füreinander geworden waren. Liese hatte kein festes Reiseziel gehabt, und deshalb hatte Tanja vorgeschlagen, daß sie mit zu einem kleinen Ort an der schwedischen Westküste kommen sollte, der Fjällbacka hieß.
»Warum gerade zu Fjällbacka?« fragte Patrik, ohne auf die Grammatik Rücksicht zu nehmen.
Die Antwort erfolgte zögernd. Das sei die einzige Sache gewesen, die Tanja nicht offen und fröhlich mit ihr diskutiert habe, und Liese mußte zugeben, daß sie den Grund nicht genau wußte. Tanja hatte lediglich erzählt, daß sie in dem Ort etwas zu erledigen habe. Wenn die Sache erst geregelt wäre, könnten sie ihre Reise durch Schweden fortsetzen, aber zuerst müßte sie etwas suchen, hatte sie gesagt. Das Thema schien heikel zu sein, und Liese hatte nicht weiter gefragt. Sie war einfach froh gewesen, eine Reisegefährtin gefunden zu haben, und begleitete Tanja gern, egal, welchen Grund sie auch haben mochte, in diesen Ort zu fahren.
Die beiden hatten drei Tage auf Sälviks Campingplatz gewohnt, als Tanja verschwand. Sie war morgens losgegangen, hatte gesagt, daß sie tagsüber was zu erledigen habe und daß sie am Nachmittag wieder zurück sei. Als sie am nächsten Morgen noch immer nicht zurück war, hatte sich Liese voller Sorge
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