Der Prediger von Fjällbacka
Robert dicht auf den Fersen. Es war, wie Robert gesagt hatte: Sie hatten was zu erledigen.
Erica überlegte, ob sie einen Spaziergang machen sollte, kam aber zu dem Schluß, daß es vielleicht nicht besonders klug war, ihn ausgerechnet jetzt zu machen, wo die Sonne am höchsten stand und die Luft vor Hitze flimmerte. Sie hatte sich die ganze Schwangerschaft über großartig gefühlt, bis zu dem Moment, wo die Hitzewelle angebrochen war. Seitdem kam sie sich meist wie ein verschwitzter Wal vor, und sie versuchte verzweifelt irgendwo Kühle zu finden. Patrik, Gott segne ihn, war auf den Einfall gekommen, ihr einen Tischventilator zu kaufen, und den schleppte sie jetzt wie eine Kostbarkeit überall im Haus mit sich herum. Der Nachteil war, daß er mit Strom betrieben wurde, also konnte sie nie weiter von einer Steckdose entfernt sitzen, als die Schnur zuließ, was die Wahlmöglichkeiten begrenzte.
Aber in der Veranda war die Dose perfekt angebracht, und so konnte sich Erica auf dem Sofa ausbreiten, den Ventilator vor sich auf dem Tisch. Keine Position war länger als fünf Minuten bequem, weshalb sie sich ständig hin und her warf bei dem Versuch, eine günstige Stellung zu finden. In manchen Positionen bekam sie einen Fuß in die Rippen, oder etwas, das vermutlich eine Hand war, bestand darauf, sie in die Seite zu boxen, und da war sie gezwungen, sich erneut zu drehen. Wie sie das noch mehr als einen Monat aushalten sollte, war ihr ein Rätsel.
Patrik und sie waren erst ein halbes Jahr zusammen gewesen, als sie schwanger wurde, aber merkwürdigerweise bereitete das keinem von ihnen irgendwelches Kopfzerbrechen. Sie waren beide nicht mehr blutjung, wußten etwas besser, was sie wollten, und fanden, daß es keinen Grund zum Warten gab. Erst jetzt bekam Erica kalte Füße, und das kam ihr reichlich verspätet vor. Vielleicht hatten sie ja zuwenig Alltag miteinander erlebt, bevor sie sich auf das hier eingelassen hatten. Wie würde es ihrer Beziehung bekommen, wenn plötzlich ein kleiner Fremdling auftauchte, der all die Aufmerksamkeit erforderte, die sie bisher einander widmen konnten?
Zwar war die stürmische, blinde Verliebtheit der ersten Zeit vorbei, und ihre Beziehung hatte eine realistischere, im Alltag verankerte Grundlage bekommen, die einen gesunden Einblick in die guten und schlechten Seiten des anderen gewährte, aber was, wenn in der abklingenden Erregung nach dem Kind nur die schlechten Seiten zurückblieben? Wie viele Male hatte sie von der Statistik gehört, laut der im ersten Kindsjahr unzählige Beziehungen in die Brüche gegangen waren? Nun ja, es hatte, wie gesagt, keinen Zweck, jetzt darüber nachzugrübeln. Geschehen ist geschehen, und es ließ sich auch nicht leugnen, daß sie und genauso Patrik sich mit jeder Faser ihres Leibes nach diesem Kind gesehnt hatten. Hoffentlich würde diese Sehnsucht ausreichen, um die umwälzende Veränderung zu überstehen.
Sie zuckte zusammen, als das Telefon klingelte. Mühsam kämpfte sie sich vom Sofa hoch und hoffte, daß der Anrufer genügend Geduld aufbrachte, um nicht aufzulegen, bevor sie den Apparat erreicht hatte.
»Ja, hallo? - Ach, grüß dich, Conny. - Danke, gut, ist nur ein bißchen zu warm für diesen Zustand. - Besuchen? Ja, sicher …
ihr seid zum Kaffee eingeladen. - Übernachten? Jaaa …« Erica seufzte im Inneren. »Ja, selbstverständlich. Wann kommt ihr? - Heute abend! Ja, nein, das ist natürlich kein Problem. Ich richte das Gästezimmer her.«
Müde legte sie den Hörer auf. Ein Haus in Fjällbacka zu besitzen hatte im Sommer einen großen Nachteil. Plötzlich tauchten alle möglichen Verwandten und Bekannten auf, die in den zehn kälteren Monaten nichts von sich hatten hören lassen. Im November zeigten sie sich nicht sonderlich an einem Zusammentreffen interessiert, aber im Juli sahen sie die Chance, eine kostenlose Unterkunft mit Meeresblick zu erhalten. Erica hatte geglaubt, daß sie diesen Sommer verschont blieben, da der halbe Juli vergangen war, ohne daß sich jemand gemeldet hatte. Aber jetzt hatte ihr Cousin Conny angerufen und war mit Frau und zwei Kindern schon unterwegs von Trollhättan nach Fjällbacka. Es ging nur um eine Nacht, also würde sie es wohl aushalten. Zwar hatte sie keinen ihrer beiden Cousins je besonders gemocht, aber ihre Erziehung machte es ihr unmöglich, ihnen das Kommen zu verweigern, obwohl sie das eigentlich tun müßte, denn ihrer Meinung nach waren diese Leute die reinsten Schmarotzer.
Erica
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