Der Prediger von Fjällbacka
machen, was sie wollte. Das Beste von allem war, daß sie von dem Kind ein Weilchen losgekommen war. Diese Göre mit ihrem Geschrei, ihrem Bedürfnis nach Zärtlichkeit und ihren Forderungen nach etwas, das sie ihr nicht zu geben vermochte. Das Kind hatte schuld daran, daß sie noch immer zu Hause bei Mutter wohnen mußte und daß die Alte sie kaum vor die Tür ließ, obwohl sie bereits zwanzig war. Es war ein Wunder, daß man sie heute abend weggelassen hatte, damit sie Mittsommer feiern konnte.
Hätte sie das Kind nicht gehabt, würde sie zu diesen Zeitpunkt allein wohnen und eigenes Geld verdienen. Könnte ausgehen, wann sie wollte, und nach Hause kommen, wenn sie es selbst für richtig hielt, ohne daß jemand das Recht hätte, sich in die Sache einzumischen. Aber mit dem Kind ging das nicht. Am liebsten hätte sie die Göre weggegeben, aber darauf ließ sich die Mutter nicht ein, und den Preis dafür hatte ganz allein sie zu bezahlen. Wenn die Alte das Kind nun so gern behalten wollte, konnte sie sich ja wohl auch um die Göre kümmern.
Ganz sicher würde es ein Mordstheater geben, wenn sie im Morgengrauen so hier reingestolpert kam. Ihr Atem stank nach Alkohol, und das würde sie am nächsten Tag garantiert ausbaden dürfen. Aber das war die Sache wert gewesen. Soviel Spaß hatte sie nicht mehr gehabt, seit das Balg geboren war.
An der Tankstelle fuhr sie direkt über die Kreuzung und blieb noch ein Stück auf der Straße. Dann bog sie nach links Richtung Bräcke ab, wobei sie fast im Straßengraben gelandet wäre. Das Fahrrad richtete sich wieder auf, und sie beschleunigte das Tempo, um für das erste steile Stück ein bißchen Extraschwung zu haben. Der Fahrtwind ließ ihr Haar wehen, und die helle Sommernacht war völlig still. Für einen Moment schloß sie die Augen und dachte an jene helle Sommernacht, als sie von dem Deutschen schwanger geworden war. Es war eine herrliche und verbotene Nacht gewesen, aber das Ganze war den Preis nicht wert, den sie hatte bezahlen müssen.
Plötzlich öffnete sie wieder die Augen. Etwas hielt das Rad abrupt an, und das letzte, woran sie sich erinnerte, war die Erde, die ihr mit rasender Geschwindigkeit entgegenkam.
Zurück im Revier, versank Mellberg ganz gegen seine Gewohnheit in tiefe Gedanken. Patrik sagte ebenfalls nicht viel, als er ihm im Pausenzimmer gegenübersaß, sondern überdachte die Ereignisse des Morgens. Eigentlich war es zu warm, um Kaffee zu trinken, aber er brauchte etwas Stärkendes, und Alkohol war kaum das richtige. Beide wedelten sich zerstreut Luft zu. Die Ventilation war seit zwei Wochen außer Betrieb, und es war ihnen noch immer nicht gelungen, jemanden zu bekommen, der sie reparieren konnte. Vormittags war es bisher noch erträglich, aber um die Mittagszeit erreichte die Hitze qualvolle Temperaturen.
»Was geht da vor sich, verdammt?« Mellberg kratzte sich nachdenklich irgendwo mitten in dem Haarnest, das auf seinem Kopf aufgebaut war, um den kahlen Scheitel zu verdecken.
»Um ehrlich zu sein, ich habe keine Ahnung. Eine Frauenleiche, die auf zwei Gerippen liegt. Wenn nicht wirklich jemand getötet worden wäre, hätte ich gedacht, daß es nach einem Dummejungenstreich aussieht. Skelette, die aus irgendeinem Biologieraum oder ähnlichem gestohlen wurden, aber es läßt sich ja nicht leugnen, daß die Frau ermordet worden ist. Ich habe auch eine Bemerkung von einem von der Spurensicherung gehört, der gesagt hat, daß die Gebeine nicht sonderlich frisch aussähen. Aber das hängt ja natürlich davon ab, wo sie sich befunden haben. Ob sie Wind und Wetter ausgesetzt waren oder irgendwo geschützt gelegen haben. Hoffentlich kann der Gerichtsmediziner eine ungefähre Angabe darüber machen, wie alt sie sind.«
»Ja, genau, wann, glaubst du, daß wir seinen ersten Bericht bekommen?« Mellberg legte die Stirn bekümmert in Falten.
»Im Laufe des Tages erhalten wir wohl die erste Einschätzung, dann dauert es vermutlich ein paar Tage, bevor er alles genauer durchgegangen ist. Also bis auf weiteres müssen wir mit dem arbeiten, was wir in Händen haben. Wo sind die anderen?«
Mellberg seufzte. »Gösta hat einen freien Tag. Irgendein verdammtes Golfturnier oder so was. Ernst und Martin sind auf einem Einsatz. Annika ist auf Teneriffa. Hatte wohl gedacht, es würde auch diesen Sommer hier bloß regnen. Das arme Luder. Muß nicht gerade Spaß gemacht haben, bei solchem Wetter aus Schweden wegzufahren.«
Patrik schaute Mellberg von neuem
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